Fünfzigster Vortrag: Über die Stelle: "Wißt ihr nicht, dass zwar alle laufen, die in der Rennbahn laufen, aber nur einer den Preis erlangt? Lauft also, dass ihr ihn erlangt! Jeder aber, der sich im Wettkampfe übt, enthält sich von allem, und zwar, um eine vergängliche Krone zu gewinnen, wir aber eine unvergängliche." 1 Kor 9,24-25
Der heilige Apostel ermuntert uns nicht nur durch die Lehren des Gesetzes1 , sondern auch durch ein Beispiel aus diesem Leben dazu, die Krone der himmlischen Herrlichkeit zu gewinnen. Denn so sprach er unter andern, wie eure Liebe vernahm: "Wißt ihr nicht, dass zwar alle laufen, die in der Rennbahn laufen, aber nur einer den Preis erlangt?" und er fügt hinzu: "Lauft so, dass ihr ihn erlanget!"2 . Nach diesem aus der Welt entlehnten Beispiel laufen zwar, wie der Apostel sagt, viele in der Rennbahn; aber nur einer erhält den Preis, d. h. nur der, der am besten läuft. So laufen auch zwar viele auf der Rennbahn des gegenwärtigen Lebens, aber nur einer erhält die Krone. Es laufen die Juden auf der Bahn des Gesetzes, es laufen die Gelehrten auf der Bahn leerer Weisheit, es laufen auch die Irrlehrer auf der Bahn falscher Lehrverkündigung, es laufen die Katholiken auf der Bahn der wahren Glaubensverkündigung. Aber von diesen allen erringt die Krone nur einer, nämlich das S. 275katholische Volk, das nach Aufnahme des Glaubensweges hineilt zu Christus, um zu gelangen zur Palme und zur Krone der Unsterblichkeit. Deshalb auch laufen die Juden und die Gelehrten und die Irrlehrer vergeblich, weil sie nicht einherwandeln auf dem echten Pfade des Glaubens. Denn was nutzt den Juden das Laufen auf der Bahn der Beobachtung des Gesetzes, da sie Christum, den Herrn des Gesetzes, nicht kennen? Es laufen auch die Philosophen auf der Bahn der leeren Weltweisheit, aber ihr Laufen ist überflüssig und zwecklos, da sie die wahre Weisheit Christi nicht kennen. Denn die wahre Weisheit Gottes ist Christus, die sich nicht schmückt mit [schönen] Worten noch mit glänzender Rede, sondern erfaßt wird durch Glauben des Herzens. Es laufen auch die Irrlehrer auf der Bahn ihrer vergifteten Glaubens predigt; sie laufen daher durch Fasten, durch Almosen, aber sie können nicht zur Krone gelangen, weil sie nicht auf der Bahn des Glaubens laufen. Denn ihr Glaube ist falsch und verdient nicht, die Krone des wahren Glau bens zu gewinnen.
Dies bekundet offen der Apostel, wenn er an einer andern Stelle sagt: "Und wenn ich auch mein ganzes Vermögen unter die Armen verteilen, und wenn ich auch meinen Leib dem Feuer zur Verbrennung übergeben würde, hätte aber die Liebe nicht, so nützte es mir nichts"3 . Denn der hat nicht die Liebe Christi, der nicht gläubigen Herzens an Christus glaubt4 . Und darum fügt ganz mit Recht der Apostel hinzu, indem er sagt: "Lauft so, dass ihr ihn erlanget!" Wir müssen also laufen auf der Bahn des Glaubens im Glauben Christi, in Beobachtung der Gebote Gottes, in den Werken der Gerechtigkeit, damit wir gelangen können zur Krone des ewigen Lebens. Endlich zeigt und der Apostel ganz folgerichtig noch, wie wir laufen müssen, indem er sagt: "Jeder", heißt es, der im Wettkampf sich übt, enthält sich von S. 276allem, und zwar um eine vergängliche Krone zu gewinnen, wie aber eine unvergängliche"5 . Seht, mit welchem Vergleich uns der Apostel einladet, die Krone der verheißenen Unsterblichkeit zu erringen! Die in diesem irdischen Wettkampfe siegen wollen, enthalten sich von gewissen Speisen, von zu vielen Getränken, sie enthalten sich von jeder Unlauterkeit, leben einer solchen Enthaltsamkeit, dass sie auch das eigene Ehebett nicht aufsuchen. Denn anders könnten sie, wie sie glauben, nicht siegen, wenn sie nicht ihren Leib keusch und rein bewahrt haben. Und nach solchen Überwindungen: welch kleine Krone, welch vergängliche und wertlose Krone erhalten sie!
Wenn also einige um einer vergänglichen Krone willen solche Entbehrungen auf sich nehmen, wieviel mehr müßten wir dann jegliche Entbehrung auf uns nehmen, da uns ein himmlischer Lohn verheißen ist und die Krone der ewigen Herrlichkeit? Wir haben also nicht einen leichten Kampf zu kämpfen, denn wir kämpfen gegen die Geister der Bosheit6 , gegen den Teufel und seine Engel. Wir kämpfen gegen die Ungerechtigkeit, gegen die Gottlosigkeit, gegen die Arglist, gegen die Unreinheit, gegen die mannigfaltigen Lockungen der Sünden. Und wenn wir in dem Kampfe siegen, empfangen wir soviel Kronen, als wir Laster besiegt haben. Gewaltig ist also dieser Kampf, in dem wir sind ein Schauspiel für den Herrn7 . Denn auf uns schaut der Herr im Kampfe, auf uns schauen seine Engel. Auf der Erde erringen wir den Sieg, aber den Lohn der Tugend empfangen wir in Himmelshöhen. Auch die heiligen Märtyrer, die so heißt gekämpft hatten, haben nicht nur die Sünden, sondern auch den Tod selbst überwunden und den Lohn der Unsterblichkeit erworben. In diesem Kampf hat zuerst gestritten und gesiegt unser Herr und Erlöser, um uns als Beispiel, wie wir kämpfen und siegen sollen, voranzuleuchten. S. 277Indem wir dies mit euch behandeln, streuen wir den Samen des guten Kampfes in eure Herzen, da wir euer Inneres durchfurcht finden gleichsam mit dem Pfluge der Gerechtigkeit. Pfleget daher das Wort, das wir in euch säten, damit die Saat sprieße zur Frucht! Gott aber möge durch seine Heimsuchung mit dem Tau seiner Liebe euch erfüllen und unserer Aussaat das Gedeihen verleihen8 , damit ihr, wenn man die Garben der Verdienste sammelt, gelangen könnt zur hundertfältigen Frucht!9 .
