28. Kap. Selbst in dem Falle, daß nur verlangt wird, für das Wohlergehen des Kaisers den Göttern zu opfern, darf man es nicht.
Weil es aber leicht als Ruchlosigkeit erscheinen würde, freie Leute wider ihren Willen zum Opfern zu zwingen -- denn es wird sonst für Begehung einer gottesdienstlichen Handlung eine bereitwillige Stimmung anbefohlen --, weil es sicher als Widersinn erachtet würde, wenn jemand von einem ändern gezwungen würde, die Götter zu ehren, da er sie ja in seinem eigenen Interesse von freien Stücken ehren müßte, und damit das Recht der Freiheit nicht zu Gebote stehe, kraft dessen man sagen darf: „Jupiter braucht mir nicht gnädig zu sein! -- wer bist du denn? -- mag mir Janus im Zorne begegnen, mit welchem Gesichte er Lust hat! -- was habe ich mit dir zu schaffen?“ seid ihr von denselben Geistern natürlich angeleitet worden, uns zu zwingen, für die Wohlfahrt der Kaiser zu opfern, und es ist euch ebensowohl die Notwendigkeit, uns zu zwingen, auferlegt, als uns die Verpflichtung, unser Leben der S. 125/471 Gefahr auszusetzen. Wir sind also beim zweiten Anklagepunkt angekommen, dem der Verletzung einer noch höheren Majestät, da ihr ja dem Kaiser mit größerer Furcht und erfinderischerer Ängstlichkeit dient, als dem olympischen Jupiter selbst. Und mit Recht, wenn ihr gescheit seid. Denn welcher Lebende, wer es auch sei, ist nicht mächtiger als jedweder Toter? Aber auch das tut ihr nicht sowohl aus Vernunftgründen1, als vielmehr aus Rücksicht auf die sieht- und fühlbare Macht. Ihr zeigt euch also auch darin irreligiös gegen eure Götter, daß ihr einem menschlichen Herrscher größere Ehrfurcht zollt. Infolge dessen wird bei euch leichter bei allen Göttern zusammen ein Meineid geschworen, als bei dem Genius des Kaisers allein.
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d. h. wegen der Einsicht, daß die Götter Tote sind. ↩