3. Gottes Absichten bei der Duldung der Häretiker
Daher brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir mit vielem Leid geschlagen werden, da wir nicht aus Unkenntnis, sondern in Widersetzlichkeit sündigen. Obwohl wir nämlich das Gute kennen, handeln wir nicht gut; und obwohl wir den Unterschied zwischen Gut und S. 155 Bös kennen, halten wir uns an das Böse. Wir lesen das Gesetz, treten aber die Gesetzesvorschriften mit Füßen; und nur zu dem Zweck lernen wir die Befehle und Gebote Gottes kennen, daß wir trotz aller Verbote um so schwerer sündigen. Wir behaupten, Gott zu verehren, gehorchen aber dem Teufel. Und nach all dem wollen wir von Gott Gutes empfangen, während wir doch Frevel auf Frevel häufen. Wir wünschen, daß Gott unseren Willen tue, während wir seinen Willen nicht tun wollen. Wir handeln, als ob wir über Gott stünden. Wir verlangen, daß Gott ständig unserem Willen gehorche, obwohl wir immerfort seinem Willen zuwiderhandeln. Aber jener ist gerecht, mögen auch wir ungerecht sein; er züchtigt die, die er für strafbar hält; er erträgt die, die er der Duldung für wert erachtet. Mit beidem will er an ein Ziel gelangen; die Züchtigung soll bei den Katholiken die Lust zu sündigen zügeln, und die Nachsicht soll die Häretiker die volle Wahrheit erkennen lassen; besonders, da er weiß, daß sie vielleicht des katholischen Glaubens nicht unwürdig sind; muß er doch sehen, daß sie bei einem Vergleich ihres Lebens vor den Katholiken den Vorzug verdienen. Alle die, von denen wir sprechen, sind entweder Vandalen oder Goten; denn von der zahllosen Menge der römischen Ketzer reden wir nicht. Wir vergleichen sie auch weder mit den Römern noch mit den Barbaren, weil sie an Glaubenslosigkeit schlimmer sind als die Römer und an Schlechtigkeit der Lebensführung ärger als die Barbaren, Aber das hilft uns nicht nur nicht, sondern beschuldigt uns nur noch mehr, als wir selbst uns beschuldigen, weil auch die, von denen wir so Schlimmes sagen müssen, Römer sind. Daraus können wir ersehen, was der ganze römische Staat verdient, da ein Teil der Römer Gott durch die Lebensführung beleidigt, ein Teil durch Glaubenslosigkeit und Lebensführung zugleich, ganz abgesehen davon, daß seinerzeit auch der Abfall der Barbaren selbst von der Schlechtigkeit der römi- S. 156 schen Regierung ausging; und deshalb lastet auch noch die Schuld auf uns, daß die Barbarenvölker Häretiker wurden.
