2. Er beschreibt verschiedene Ungeheuer von Häresien, die gegenseitig aus einander hervorgiengen.
Nicht neu sind nun in den Kirchen diese Sprossen eines fruchtbaren Samens. Immer duldete der Saatwuchs des göttlichen Ackers diese Kletten und Dornen, und beständig tauchten unter ihm die Keime des erstickenden Unkrautes auf. Denn so entstanden die Hebioniten, so die Sabellianer und Arianer, so ferner die Eunomianer und Macedonianer, die Fotinianer, Apollinaristen und die übrigen Dorngesträuche der Kirchen, dieses Unkraut, welches die Frucht des guten Glaubens ertödtet. Der Erste derselben, Hebion,1 S. 438 beraubte, da er die Menschwerdung des Herrn zu sehr betonte, ihn der Verbindung mit der Gottheit. Die Spaltung des Sabellius2 aber, welche nachher aus dem Gegensatze mit der vorigen Häresie entstand, vermischte, soviel an ihr lag, die heilige und unaussprechliche Trinität durch eine gotteslästerliche Gleichmachung, während sie behauptete, daß zwischen dem Vater und dem Sohne und heiligen Geiste gar kein Unterschied sei. Auf den Genannten folgte nun die gottlose arianische Verkehrtheit.3 Um nicht in den Schein zu fallen, als vermische sie die heiligen Personen, behauptete diese, daß es in der Trinität verschiedene, einander unähnliche Substanzen gebe. Eunomius4 dagegen, der nachher kam, aber von ganz gleicher Verkehrtheit war, behauptete, obwohl er die Ähnlichkeit in der göttlichen Trinität betonte, doch eine Verschiedenheit in derselben und ließ die Ähnlichkeit zu mit Ausschluß der Gleichheit. Auch Macedonius5 lästerte mit unheilbarer Gottlosigkeit den S. 439 hl. Geist, nannte ihn, obwohl er zugab, daß Vater und Sohn von gleichem Wesen seien, ein Geschöpf und versündigte sich so an der ganzen Gottheit, weil in der Trinität Nichts verletzt werden kann, ohne dem Ganzen zu schaden. Photinus6 aber wähnte, obwohl er Jesum, der aus der Jungfrau geboren worden, Gott nannte, doch in übler Weise, daß der Anfang des Gottes zugleich sei mit dem Anfange des Menschen. Apollinaris7 dann, welcher den mit Gott vereinigten Menschen gedankenlos auffaßte, glaubte zu seinem Unheil, derselbe habe keine menschliche Seele gehabt; denn es ist kein geringerer Irrthum, unserm Herrn Jesus Christus Ungehöriges zuzuschreiben, als ihm das Zukommende abzusprechen, und was von ihm nicht so ausgesagt wird, wie es ist, das ist eine Schmähung, wenn es auch den Schein der Ehre hat. So erzeugte Jeder durch die Ähnlichkeit mit der einen Häresie eine andere, und Alle hatten zwar unter sich verschiedene, aber immer dem Glauben entgegengesetzte Ansichten. Auch vor Kurzem noch, d. h. in unsern Tagen, sahen wir eine giftige Häresie besonders in der Stadt der Beliger8 auftauchen, deren S. 440 Irrthum sicher ist, unsicher ihr Name, weil sie, entstanden mit neuem Haupte aus dem alten Stamme der Ebioniten, es sehr zweifelhaft läßt, ob man sie alt oder neu nennen soll. Neu ist sie nämlich durch ihre Verkünder, alt durch ihre Irrthümer. Indem sie also die Lästerung ausspricht, daß unser Herr Jesus Christus als bloßer Mensch geboren worden sei, behauptet sie ferner, es sei Sache des menschlichen Verdienstes, nicht seiner göttlichen Natur gewesen, daß er nachher zu göttlicher Ehre und Macht gelangt sei; folglich habe er die Gottheit nicht immer durch den Besitz der mit ihm vereinigten göttlichen Natur gehabt, sondern sie nachher zum Lohne seiner Mühen und Leiden durch sein Verdienst erlangt. Da sie so in allweg die Lästerung festhält, unser Herr und Erlöser sei nicht als Gott geboren, sondern von Gott aufgenommen, so nähert sie sich jener Häresie,9 die jetzt auftritt, und ist gleichsam ihre Schwester und Blutsverwandte, die sowohl mit den Ebioniten als diesen Neuesten übereinstimmt und, wenn auch der Zeit nach zwischen Beiden, doch der Verkehrtheit nach mit ihnen vereint ist. Obwohl es noch einige, den Genannten Ähnliche gibt, so würde es doch zu weit führen, alle aufzuzählen; denn wir haben jetzt nicht die Erwähnung der alten, sondern die Widerlegung der neuen (Häresien) zur Besprechung genommen.
Die Sekte der Ebioniten (circa 50 n. Chr.) läugnete die Gottheit Christi und behauptete auf’s Strengste die fortdauernde Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes. Ob ihr Name auf eine Persönlickeit Namens Ebion zurückzuführen oder anders zu erklären ist, kann nicht bestimmt werden. ↩
Sabellius, der bedeutendste Vertreter der Patripassianer, war ein Libyer aus Pentapolis und lehrte seine Irrthümer in Rom unter den Päpsten Zephyrin und Kallistus (202 ― 223 n. Chr.). Er läugnete den Personenunterschied in der Gottheit, und so hatte nach ihm also der Vater selbst einen menschlichen Leib angenommen und gelitten. Papst Kallistus schloß ihn aus der Kirche aus. ↩
Arius, Presbyter zu Alexandrien, schon auf einer Synode zu Alerandrien (321), besonders aber auf dem ersten allgemeinen Concil, zu Nicäa (325), verworfen. „Der Sohn Gottes sei nur das erste und vornehmste Geschöpf, durch welches dann erst die übrige Welt erschaffen worden sei.“ † 336. Seine Häresie war furchtbar durch ihre Ausdehnung und lange Dauer. ↩
Eunomius, Bischof v. Cyzicus in Mysien, † 395, der extremste Arianer, behauptete den größten Unterschied zwischen Vater und Sohn. Der hl. Geist sei ein Geschöpf des geschaffenen Sohnes. Die Darstellung oben im Texte ist also irrig. ↩
Macedonius, Bischof von Constantinopel (358), lehrte mit den Semiarianern, der Sohn sei dem Vater in Allem ähnlich, wobei von der Wesensgleichheit schlau geschwiegen wurde, was Cassian’s Text falsch darstellt; er fügte aber den Irrthum bei, der hl. Geist sei nur ein Geschöpf. ↩
Photinus, Diakon v. Ancyra, später Bischof von Sirmium (341), lehrte den sabellianischen Irrthum, daß die nach aussen thätige Vernunft Gottes, der λόγος προφορικὸς [logos prophorikos], nicht nur die Welt geschaffen, sondern auch dem Menschen Jesus eingewohnt habe, wodurch sie „Sohn Gottes“ geworden sei. Also nur in Rücksicht auf diese Art Menschwerdung könne man von einem „Sohne Gottes“ reden. ↩
Apollinaris von Laodicea, Vater und Sohn waren früher verdienstvolle Apologeten. Dann ließ sich besonder der Jüngere in seinen trichotomistischen Ansichten zu der Behauptung hinreissen, Christus habe wohl Leib und Seele (ψυχή) [psychē] eines Menschen gehabt, aber statt des Geistes (πνεῦμα) [pneuma] sei der (λόγος) [logos] Logos in ihm gewesen. Diese Lehre wurde schon auf einer Synode zu Alexandrien 362 verdammt, später zu Constantinopel (381). ↩
Es ist nicht zu sagen, welches diese Stadt der Beliger gewesen sein soll, in welcher die offenbar hier gemeinte Häresie des Britten Pelagius so sehr blühte. Andere Ausgaben haben urbs Veligarum, und das könnte Rom sein von Velia, einem Theile des palatinischen Hügels. Pelagius hat auch in Rom eifrig für seinen Irrthum gewirkt. ↩
Dem Nestorianismus, für dessen Widerlegung das Bisherige der geschichtliche Unterbau war. Daß dieser nicht vollständig ist, können wir nicht tadeln; aber die Auswahl hätte dürfen glücklicher und die Darstellung richtiger sein. ↩
