4.
C. Sage, was du willst, führe an, was dir beliebt, nie wirst du mir die freie Willensentscheidung entwinden, die mir Gott einmal verliehen hat! Du wirst mir nicht nehmen können, was mir Gott gegeben hat, das Können, wofern ich will.
A. So will ich denn des Beispiels halber nur auf ein Zeugnis hinweisen: „Ich habe David, Jesses Sohn, als einen Mann nach meinem Herzen gefunden, der in allem meinen Willen tuen möge“1. David ist ohne Zweifel heilig. Jedoch hat er, obwohl auserwählt, um in allem den Willen Gottes zu erfüllen, einiges getan, wofür ihn Tadel trifft. Sicherlich wäre es ihm möglich gewesen, sich in allem nach Gottes Willen zu richten, da er ja dazu auserwählt war. Auch liegt keine Schuld bei Gott, der vorherverkündigt hat, daß er in allem nach seinem in den Geboten zum Ausdruck gebrachten Willen handeln werde. Sie liegt vielmehr bei dem, welcher der Vorherverkündigung nicht gerecht geworden ist. Denn Gott hat nicht gesagt, er habe einen Mann gefunden, der für alle Zeiten seinem Willen und seinen Befehlen nachkommen werde, sondern nur, er habe einen Mann gefunden, der in allem seinen Willen erfüllen möge. Auch wir sagen, daß der Mensch, wenn er will, es fertig bringt, nicht zu sündigen für eine gewisse Zeit, an einem bestimmten Ort, unter Berücksichtigung seiner körperlichen Schwäche, solange der Geist angespannt bleibt, solange kein Laster eine Saite an der Zither lockert. Wenn er aber nur ein klein wenig nachgibt, so gleitet er sofort zurück wie einer, der gegen den Strom seinen Nachen steuert, aber mit Rudern nachläßt, und wird von den Wogen an einen Ort verschlagen, an den er nicht hin will. In der gleichen Lage befindet sich der S. 468 Mensch. Wenn er sich ein wenig gehen läßt, dann wird er seine Gebrechlichkeit gewahr und sieht ein, daß er vieles nicht fertig bringt. Glaubst du, daß der Apostel Paulus in jenem Augenblicke, als er schrieb: „Wenn du kommst, so bringe mein Oberkleid oder meinen Mantel mit, welche ich zu Troas bei Carpus gelassen habe, auch meine Bücher, besonders aber die Pergamentrollen“2, an himmlische Geheimnisse gedacht hat oder nicht vielmehr an solche Dinge, welche zum täglichen Gebrauche oder für den Körper vonnöten sind? Zeige mir einen Menschen, der nicht für Hunger und Durst empfänglich ist, der nicht Kälte und Schmerz zu ertragen hat, der nicht fiebert, der nicht von Leibschmerzen und Harnschwierigkeiten heimgesucht wird! Dann will ich dir zugeben, daß der Mensch imstande ist, nur an Tugenden zu denken. Der Apostel wird von einem Diener mißhandelt und richtet an den Hohenpriester, der hierzu den Auffrag erteilt hatte, folgende Drohung: „Der Herr wird dich schlagen, du übertünchte Wand“3. Wo bleibt hier jene Geduld des Erlösers, der wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wurde, ohne seinen Mund zu öffnen4, und in aller Milde zu dem, der ihn schlägt, spricht: „Wenn ich schlecht gesprochen habe, so beweise, daß es unrecht sei; habe ich aber recht geredet, warum schlägst du mich?“5 Ich will den Apostel nicht herabsetzen, aber den Ruhm des Herrn will ich verkünden, der, als er im Fleische litt, das dem Fleische zugefügte Unrecht und die menschliche Gebrechlichkeit überwunden hat. Ich will ganz schweigen von jener anderen Bemerkung des Apostels: „Der Kupferschmied Alexander hat mir viel Übles zugefügt; der Herr, der gerechte Richter, wird ihm vergelten an jenem Tage“6.
