11.
C. Ich hatte, um das freie Willensvermögen zu retten, einfach bemerkt, daß die göttliche Hilfe nicht bei den einzelnen Werken wahrzunehmen sei, sondern sich in der Gnade einer auf Naturgesetz beruhenden Anlage kundtue. Übrigens gibt es unter uns sehr viele, welche die Ansicht vertreten, daß alles, was wir tun, auf göttliche Hilfe zurückzuführen sei.
A. Wer so spricht, hört auf, zu euch zu gehören. Auch du sollst so sprechen, damit du anfangest, einer der Unsrigen zu sein. Tust du es aber nicht, dann wirst du uns als ein Fremder gegenüberstehen, wie jene, die nicht unseren Glauben haben.
S. 480 C. Ich werde mit dir Gemeinschaft pflegen, wenn du dich zu meiner Ansicht bekennst, oder besser gesagt, du mit mir, sobald du deinen Widerspruch aufgibst. Du gibst zu, daß es gesunde Körper gibt, leugnest dagegen die Gesundheit der Seele, die doch hoch über dem Körper steht. Was nämlich Krankheit und Wunde am Körper sind, das ist die Sünde für die Seele. Wenn du also zugibst, daß irgendein Mensch körperlich gesund ist, warum machst du für die Seele nicht das gleiche Zugeständnis?
A. Ich will auf deine These eingehen. Heute wirst du mir nicht entrinnen. Wohin immer du gerufen wirst, werde ich kommen1.
C. Ich bin bereit zu hören.
A. Und ich, tauben Ohren zu predigen. Also, ich antworte auf deinen Einwand. Wir sind aus Seele und Leib zusammengesetzt, so daß wir die Natur beider besitzen. Wie der Körper gesund genannt wird, solange ihn keine Krankheit heimsucht, so bleibt auch die Seele frei von Sünde, wenn sie von keiner Leidenschaft erschüttert wird. Trotzdem empfindet der Körper, mag er auch noch so gesund, unversehrt, kräftig und des Gebrauchs aller Sinne völlig fähig sein, infolge mehr oder minder häufiger Krankheiten Schmerz und hat es, sollte er auch sonst noch so rüstig sein, zuweilen mit einer lästigen Verschleimung zu tun. So steuert auch die Seele, die den Ansturm leidenschaftlicher Gedanken überwindet, um nicht Schiffbruch zu leiden, nicht ungefährdet dahin, sondern ein Blick auf ihre Gebrechlichkeit macht sie besorgt wegen des Todes, nach dem Schriftworte: „Welcher Mensch wird leben bleiben, ohne den Tod zu schauen?“2 Er lauert allen Sterblichen auf, jener Tod nämlich, der nicht in der Auflösung der Natur, sondern in der Sünde besteht nach des Propheten Ausspruch: „Die Seele, die sündigt, wird sterben“3. Andererseits wissen wir, daß Henoch und Elias den Tod in landläufigem Sinne, dessen Beute auch die unvernünftigen Tiere S. 481 werden, nie gesehen haben. Gib mir einen Leib, der nie krank wird oder der nach überstandener Krankheit einer dauernden Gesundheit sicher ist, dann will ich dir auch eine Seele geben, die nie sündigt, und, nachdem sie sich eine Zeitlang in der Tugend bewährt hat, auch fürderhin nicht sündigen wird. (Das will viel heißen), zumal von der Tugend zum Laster kein weiter Weg ist, und wenn man nur ein wenig abweicht, wird man sich vertun oder in den Abgrund stürzen. Wie nahe berühren sich nicht Hartnäckigkeit und Standhaftigkeit, Sparsamkeit und Kargheit, Freigebigkeit und Verschwendung, Klugheit und Schlauheit, Mut und Verwegenheit, Vorsicht und Furcht! Diese Begriffe haben zur einen Hälfte eine gute, zur andern eine schlimme Bedeutung. Denselben Vorgang nehmen wir auch im Leben des Körpers wahr. Nimmst du durch Mäßigung auf die Gallenblase Rücksicht, dann entsteht Verschleimung. Trocknest du zu eilig den Schweiß, dann erhitzt sich das Blut; es wird dadurch die Galle vergiftet, und gelbliche Färbung bleicht deine Wangen. Mögen wir auch alle ärztliche Sorgfalt aufwenden, im Maß der Speise vorsichtig sein, frei sein von Krankheitserregern und Verdauungsstörungen, so werden wir doch ganz sicher aus verborgenen, nur Gott bekannten Gründen vor Frost erschauern, im Fieber glühen, über Leibschmerzen klagen und die Hilfe des wahren Arztes und Erlösers anrufen mit den Worten des Apostels: „Herr, hilf uns, sonst gehen wir zugrunde“4.
