17. Die Einwände gegen den Zorn Gottes.
„Gott kümmert sich um nichts“, sagt Epikur. Dann hat Gott auch keine Macht — denn der muß sich annehmen, welcher Macht hat —; oder wenn Gott Macht hat und sie nicht gebraucht, was ist dann die Ursache einer solchen Vernachlässigung, daß ihm, ich sage nicht unser Geschlecht, sondern das ganze Weltall gleichgültig ist? „Darum ist Gott unvergänglich und glückselig, weil er immer in Ruhe ist.“ Wem ist also die Verwaltung so großer Dinge zugefallen, wenn dieses All von Gott vernachlässigt wird, das wir mit höchster Vernunftmäßigkeit geleitet sehen? Oder wie kann der untätig sein, der lebt und empfindet? Ruhe ist Sache des Schlafes oder des Todes. Aber selbst der Schlaf hält nicht Ruhe. Wenn wir eingeschlummert sind, so S. 109 ruht zwar der Leib, aber der Geist ist ohne Unterlaß tätig; er gestaltet sich Bilder für das geistige Schauen, um seine natürliche Regsamkeit durch die Mannigfaltigkeit der Traumgesichte zu beschäftigen, und unterhält sich mit Vorstellungen, bis die Glieder ihr Genüge haben und neue Lebenskraft aus der Ruhe schöpfen. Immerwährende Ruhe ist nur dem Tode vorbehalten. Wenn aber der Tod mit Gott nichts zu tun hat, so ist also Gott niemals untätig. Worin nun kann Gottes Tätigkeit anders bestehen als in der Verwaltung der Welt? Wenn aber Gott Sorge trägt für die Welt, so kümmert er sich auch um das Leben der Menschen; dann nimmt er auch die Handlungen der einzelnen wahr und wünscht, daß diese Handlungen weise und gut sind. Dies ist der Wille Gottes, dies das göttliche Gesetz; wer es befolgt und beobachtet, der ist Gott lieb. Es muß also Gott von Zorn bewegt werden wider den, der dieses ewige und göttliche Gesetz verletzt und mißachtet.
„Wenn Gott einem Menschen schadet, dann ist er nicht mehr gut.“ Nicht geringem Irrtum fallen die zum Opfer, welche das Richteramt, sei es das menschliche oder das göttliche, mit dem Namen der Herzlosigkeit und Bosheit verunglimpfen, als ob man von dem sagen dürfte, daß er schade, welcher Schädliche straft. Wenn dem so wäre, so hätten wir also schädliche Gesetze, da sie für die Übertreter Strafe bestimmt haben, und schädliche Richter, die überführte Verbrecher mit der Todesstrafe belegen. Wenn nun das Gesetz gerecht ist, das dem Schuldigen zuteilt, was ihm gebührt, wenn der Richter unbescholten und wacker genannt wird, der schlechte Taten ahndet — denn die Wohlfahrt der Guten behütet, wer die Bösen straft —, so fügt demnach Gott nicht Schaden zu, wenn er den Bösen entgegen ist; aber der fügt Schaden zu, der entweder dem Unschuldigen schadet (innocenti nocet) oder den Schuldigen verschont, damit er mehreren schade.
Hier möchte ich eine Frage an die richten, die Gott als unbeweglich darstellen. Wenn ein Herr Vermögen, Haus und Gesinde hat, und wenn seine Sklaven in Verachtung der Geduld ihres Herrn in all seine Habe sich S. 110 eindrängen, seine Güter genießen und vom Hausgesinde sich ehren lassen, während der Herr selbst von allen verachtet, verspottet und verlassen ist, kann etwa der weise sein, der Schimpf und Schmach nicht ahndet und die Sklaven, gegen die er Gewalt hat, seine Habe genießen läßt? Wo findet sich bei einem Herrn eine solche Geduld? wenn man es anders Geduld und nicht vielmehr Gefühllosigkeit und Stumpfsinn nennen soll. Doch mag man unschwer die Verachtung ertragen. Was erst, wenn das eintritt, was beispielshalber Cicero anführt, indem er sagt: „Ich frage nunmehr: wenn ein Hausvater, dem der Sklave die Kinder ermordet, die Gattin erschlagen, das Haus angezündet hat, nicht die schärfste Todesstrafe über den Sklaven verhängt, ist er dann milde und barmherzig oder unmenschlich und grausam zu nennen?“ Wenn nun die Nachsicht gegen derartige Untaten Grausamkeit und nicht Milde ist, so wäre es auch an Gott kein Vorzug, wenn ihn ungerechte Taten unberührt ließen. Denn die Welt ist wie ein Haus Gottes, und die Menschen sind wie die Knechte Gottes; wenn diesen Gottes Name zum Gespötte dient, was müßte das für eine Geduld sein, die Gott veranlassen könnte, auf seine Ehre zu verzichten und beim Anblick verkehrter und ungerechter Werke nicht unwillig zu werden? Denn der Unwille ist dem eigentümlich und naturgemäß, dem die Sünde mißfällt. Der Zorn ist also eine Forderung der Vernunft; denn er macht den Pflichtverletzungen ein Ende und hält die Zügellosigkeit in Schranken; und das ist sicher eine gerechte und weise Tat.
Die Stoiker haben nicht erkannt, daß ein Unterschied ist zwischen dem Rechten und dem Verkehrten, und daß es einen gerechten Zorn gibt und einen ungerechten Zorn; und weil sie ein Heilmittel für die Sache nicht finden konnten, so waren sie für gänzliche Ausrottung des Zornes. Die Peripatetiker hingegen erklärten sich nicht für die Ausrottung, sondern für die Mäßigung des Zornes; diesen haben wir im sechsten Buche der Unterweisungen1 genug geantwortet. Daß S. 111 aber die Philosophen das Wesen des Zornes mißkannt haben, geht aus ihren Begriffsbestimmungen hervor, die Seneca2 in seinen „Büchern über den Zorn“ aufgezählt hat. Seneca sagt: „Der Zorn ist die Begierde, Rache für das Unrecht zu nehmen, oder, wie Posidonius3 sagt: die Begierde, den büßen zu lassen, von dem man sich ungerecht verletzt glaubt. Einige haben den Begriff so bestimmt: Der Zorn ist die Erregung des Gemütes, um dem zu schaden, der uns entweder geschadet hat oder uns schaden wollte. Des Aristoteles Begriffsbestimmung weicht nicht viel von der unsrigen ab; denn er sagt: Der Zorn ist die Begierde, den Schmerz zu vergelten.“ Soweit Seneca. Dies ist der ungerechte Zorn, von dem wir oben gesprochen haben; er wohnt auch den Tieren inne; der Mensch muß ihn bezähmen, um nicht aus Wut zu größtem Unheil sich fortreißen zu lassen. Dieser Zorn kann in Gott nicht sein; denn Gott ist unverletzlich; aber im Menschen findet er sich, weil der Mensch gebrechlich ist. Denn die Verletzung verursacht Schmerz, und der Schmerz erweckt das Verlangen nach Rache. Wo findet sich nun jener gerechte Zorn wider die Fehlenden? Dieser ist sicherlich nicht Begierde nach Rache, weil keine Beleidigung vorausgeht. Ich rede nicht von solchen, die sich wider die Gesetze vergehen; diesen kann zwar der Richter ohne Vorwurf zürnen; doch denken wir uns, daß er gelassenen Gemütes sein müsse, wenn er den Schuldigen der Strafe unterwirft; denn er ist Diener der Gesetze und nicht Diener seiner Neigung oder Macht; so verlangen es die, welche den Zorn auszureuten versuchen. Ich rede zunächst von denen, die unter unserer Botmäßigkeit stehen, wie Sklaven, Kinder, Gattinnen, Schüler; wenn wir an diesen Pflichtverletzungen sehen, so fühlen wir uns zur Einschreitung angetrieben. Dem Guten und Gerechten muß eben das Verkehrte mißfallen, und wem das Böse mißfällt, der wird bei seinem Anblick erregt; S. 112 daher erheben wir uns zur Bestrafung, nicht weil wir verletzt worden sind, sondern um die Zucht aufrecht zu halten, die Sitten zu verbessern, die Zügellosigkeit zu unterdrücken. Dies ist der gerechte Zorn; und wenn dieser beim Menschen notwendig ist zur Besserung der Verkehrtheit, so sicherlich auch bei Gott, von dem zum Menschen das Beispiel gekommen ist. Denn wie wir unsere Untergebenen in Ordnung halten müssen, so muß auch Gott die Ausschreitungen aller in Schranken halten, und zu diesem Zweck muß er zürnen, weil es dem Guten natürlich ist, bei der Sünde des Nebenmenschen in Unruhe und Aufregung zu geraten. Daher hätten die Stoiker den Begriff so bestimmen sollen: Der Zorn ist die Bewegung des Gemütes, das sich zur Einschränkung der Sünden erhebt. Denn die Bestimmung Ciceros: „Der Zorn ist die Lust, sich zu rächen“, ist von den obigen nicht viel verschieden. Jener Zorn nun, den wir Wut oder Jähzorn nennen können, darf auch im Menschen nicht sein, weil er ganz fehlerhaft ist; der Zorn aber, der zur Verbesserung der Fehler dient, darf dem Menschen nicht benommen werden und kann auch Gott nicht entzogen werden; denn dieser Zorn ist für das menschliche Leben nützlich und notwendig.
