16. Gott ist gnädig den Guten und zürnt den Bösen.
Man könnte fragen, was das für ein Grund und Anlaß ist. Fürs erste nehmen die Menschen bei hereinbrechenden Unglücksfällen zumeist ihre Zuflucht zu Gott und besänftigen und beschwören ihn in dem Glauben, daß er die Unbilden von ihnen abwehren könne. So hat Gott Ursache, sich zu erbarmen; denn er S. 107 ist nicht so grausam und geringschätzig gegen die Menschen, daß er ihnen in ihren Bedrängnissen die Hilfe versagte. Ebenso gibt es eine große Zahl Menschen, die überzeugt sind, daß Gott die Gerechtigkeit wohlgefällt, und die ihn als Herrn und Schöpfer aller Dinge ehren; diese bringen Gott unter fortwährenden Gebeten und häufigen Gelübden Gaben und Opfer dar, erheben seinen Namen mit Lobsprüchen und bemühen sich, durch gerechte und gute Werke sein Wohlgefallen zu gewinnen. So besteht also Grund für Gott, daß er sich gnädig erweisen kann und muß. Denn wenn nichts so dem Wesen Gottes entspricht als das Wohltun, wenn nichts Gott so fremd ist als die Unerkenntlichkeit, so läßt es sich nicht anders denken, als daß Gott für die Dienstbezeigungen edler, heilig lebender Menschen Anerkennung gewährt und Gegendienst erstattet, um nicht die Schuld des Undanks auf sich zu laden, die auch für den Menschen ein Vorwurf ist. Hingegen gibt es auch lasterhafte und ruchlose Menschen, die alles mit ihren Lüsten beflecken, die Mord, Betrug, Raub und Meineid verüben, die Blutsverwandte und Eltern nicht schonen und über Gesetze und sogar über Gott selbst sich hinwegsetzen. Es hat also der Zorn in Gott Anlaß zur Betätigung. Denn es wäre wider die heilige Ordnung, wenn Gott vom Anblick solcher Greuel unberührt bliebe, wenn er sich nicht zur Rache an den Frevlern erheben und die verderblichen und gemeinschädlichen Menschen ausrotten würde, um der Guten insgesamt sich anzunehmen; so sehr liegt schon im Zorne selbst der Erweis der Gnade.
So erweisen sich denn als nichtig die Beweisgründe der Stoiker, die Gott den Zorn absprechen und die Gnade zuerkennen, weil auch die Gnade ohne den Zorn nicht bestehen kann; es erweisen sich als haltlos auch die Gründe der Epikureer, die überhaupt keine innere Bewegung in Gott anerkennen. Und weil es einige Gemütserregungen gibt, die bei Gott nicht in Betracht kommen, wie Gelüste, Furcht, Habsucht, Betrübnis, Mißgunst, so haben sie Gott ohne weiteres jede innere Regung aberkannt. Von den genannten Erregungen ist Gott frei, weil sie Anreiz zu Lastern sind; die Affekte S. 108 aber, die zur Tugend gehören, wie Zorn gegen die Bösen, Liebe zu den Guten, Erbarmung gegen die Bedrängten sind im eigentlichen, gerechten und wahren Sinne1 in Gott, weil sie der göttlichen Macht würdig sind. Würde sie fürwahr Gott nicht haben, so würde das menschliche Leben in Verwirrung kommen und der Zustand der Dinge in solche Unordnung geraten, daß mit Geringschätzung und Außerachtlassung der Gesetze nur noch die Vermessenheit herrschte und schließlich niemand mehr, als wer an Kraft überlegen ist, sicher sein könnte; und so würde, wie unter der Herrschaft einer allgemeinen Raubhorde, die ganze Erde verwüstet werden. So aber finden die Tugenden eine Stätte und sind die Verbrechen spärlicher, weil die Bösen Strafe, die Guten Gnade und die Bedrängten Hilfe zu gewärtigen haben. „Aber zumeist sind ja die Frevelhaften glücklicher und die Guten beklagenswert, und oft werden die Gerechten von den Ungerechten ungestraft gequält.“ Den Grund dieser Erscheinung werden wir nachher betrachten. Vorerst wollen wir die Frage vom Zorn behandeln, ob es einen Zorn in Gott gibt, oder ob Gott überhaupt um nichts sich kümmert und von ruchlosen Geschehnissen unberührt bleibt.
Wohl im wahren Sinne, aber in anderer Weise als bei den Menschen. ↩
