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Summe der Theologie
Hundertdrittes Kapitel. Über die Weltregierung im allgemeinen. Überleitung.
„Stehe auf, Jerusalem, und stehe auf der Höhe, blicke um dich herum, Jerusalem, nach Osten und schaue die frohe Annehmlichkeit, die dir vom Herrn kommt. Genährt habe ich sie mit der Freude und als sie mich verließen, geschah es mit Weinen und Wehklagen.“ (Baruch 4. und 5.) An diese Worte des Propheten erinnert sich die Seele, wenn sie liest, wie Thomas die Herrlichkeiten des Urzustandes schildert. Da ließ der Mensch Gott allein walten, des Menschen Wille ward geleitet durch den Willen Gottes; — er konnte sich da in die Höhe des Jerusalems seiner Vernunft begeben. Umschau durfte er halten nach allen Seiten; von Osten her anzufangen, d. h. von da her, wo er seinen Ursprung genommen, von seinem Gotte, der ihn gemacht; — und nur Freude, nur Annehmlichkeit, nur Trost strömte aus dieser Quelle zu ihm. Seine Nahrung war Freude; und erst als er „Gott, seinen Schöpfer verließ“, um zu werden, „wie der Ochs und der Esel, denen keine Vernunft zu teil geworden;“ erst als er sich selber „in endloses Weh begab“, da kam „das Wehklagen und das Weinen“. Trostvoll ist es zu sehen, wie Thomas die Sonde der Vernunft in der Hand mit derselben Sicherheit im erhabenen rein geistigen Teile der Seele arbeitet und prüft wie in den niedrigsten, gewissermaßen schmutzigsten Dingen; wie er überall zeigt, daß nur Freude, nur Trost, nur Wohlsein von Gott dem Menschen wurde. Wem fiel es nicht auf, wie Thomas selbst da, wo die gemeinste Begierde gegenwärtig die Freude dermaßen getrübt hat, daß es eine Tugend ist, der letzteren zu entsagen, im Stande der Unschuld keinerlei Freude dem Menschen nimmt; vielmehr sagt, die Freude wäre bei diesem Werke eine größere gewesen, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, wie sie jetzt ist. Nichts hat die Sünde dem Menschen gebracht; rein nichts und in keiner Beziehung. In nichts hat sie dem Menschen größere Freude bereitet. Die ungeregelte Begierde ist ein Zügel geworden für die Freude selbst der Sünder; während die heilige Regel der Vernunft der sinnlichen Freude in ihrem Bereiche weiteren Spielraum gelassen hätte. Wahrlich; so sieht man, wie Thomas sagt, „was der Mensch verloren hat durch die Sünde.“ Deshalb muß man in aller Sorgsamkeit den Urzustand der Menschheit prüfen und durchforschen, damit man erkenne, welcher Freuden der Mensch teilhaft wird, wenn er sich Gott überläßt; und wie Wehe und Weinen sein Anteil ist, wenn er Gott verläßt. „Mit der Freude habe ich dich genährt; du hast mich verlassen und Weinen und Wehklagen war dein Los.“ „Wie der Tag dunkel wird,“ so oben Thomas, „wenn das Licht sich entfernt,“ so wird die Seele dunkel, der Wille schwach, die Vernunft ohnmächtig, der sinnliche Mensch dem Wechsel, der Veränderlichkeit und schließlich dem Tode unterworfen, je mehr er sich von Gott entfernt. Das ist das Princip, welches sich aus allen bisher betrachteten Wahrheiten über Gott ergiebt und welches uns nun begleiten wird in der Art und Weise der Thätigkeit Gottes und der Kreaturen und zumal im zweiten Teile in der Art und Weise der menschlichen Thätigkeit. Wir haben bereits früher zweimal hervorgehoben, wie es keinen natürlichen, durchaus letzten Endzweck für keine Vernunft weder thatsächlich giebt, noch irgendwie geben kann; wie die vernünftige Natur zweierlei in ihrem Wesen einschließt, daß sie nämlich 1. ohne daß sie in sich selbst betrachtet weiter erhoben würde, ihre schließliche Seligkeit gar nicht anders finden kann, als in der Anschauung des göttlichen Wesens und daß sie 2. die Mittel, um zu dieser Anschauung zu gelangen, nicht in ihrer Natur und nicht im Bereiche anderer Naturen besitzt. Die vernünftige Kreatur ist eben der natürliche Ausdruck des prophetischen: „Nach Dir hat meine Seele gedürstet; sie ist ohne Dich, wie die Erde ohne Wasser.“ Die vernünftige Kreatur ist ihrem Wesen nach der Sammelpunkt für alle Geschöpfe, wo sie alle nach Gott schreien: „Ich habe meine Arme ausgebreitet nach Dir.“ Es giebt Gott gegenüber als von Ihm unabhängig keinen Schatten von Bestimmung in der Vernunft und in dem ihr entsprechenden Willen für die thatsächliche Wirksamkeit. Die entgegengesetzte Behauptung von der natürlichen, von Gott unabhängigen Selbstbestimmung im Willen ist die Quelle vieler Irrtümer in theologischen Werken. Es ist sonderbar! Der Pantheist möchte von seinem unvollkommenen einen Sein oder vielmehr von etwas, was gar noch nicht ein Sein ist, Alles abhängig machen; er möchte es überall als das bestimmende Element hintragen; überall soll es Quelle der Einheit sowohl wie der Verschiedenheit, der Vereinzelung und der Allgemeinheit sein. Wir aber haben in unserer erhabenen Glaubenswissenschaft nicht den Mut, unseren in höchster Vollkommenheit strahlenden, von aller Kreatur in seinem Dasein nachgewiesenen Gott, die wahre Fülle des Seins, in seiner souveränen Bestimmungskraft überall leuchten zu lassen; — und doch liegt einzig darin die Lösung so vieler Schwierigkeiten, nämlich in dem rücksichtslosesten Festhalten an der Ehre und Herrlichkeit Gottes. Nichts ist außer Ihm. Was Sein ist, hat dies durch Ihn. Was thätig ist, ist dies durchaus und ohne Schranken durch Ihn. Daß das eine verschieden ist vom anderen, das ist durch Ihn. Daß das eine mit dem anderen verbunden ist, das ist von Ihm. Nicht mit gebundenen Händen steht Gott seiner Kreatur gegenüber, die Er später belohnen oder strafen müßte, ohne sozusagen dafür zu können; — nein, durchaus frei ist Er in Allem. Vor Ihm ist jede Natur ein reines Möglichsein: „Kein Ding ist für Ihn unmöglich.“ Was Wirklichkeit hat, das kann unmöglich insoweit, nämlich als Wirkliches, anders sein. Ist also etwas von sich aus auch nur entfernt wirklich oder bestimmt vor dem Blicke Gottes, so kann es nicht anders sein, so ist das Gegenteil auch für Gott etwas Unmögliches. Das Entgegengesetzte aber sagt die Schrift: Non est impossibile apud Deum omne verbum. Nur als reine Möglichkeit steht von sich aus die Kreatur vor Gott. Und deshalb allein ist sie eben nicht Gott; ist sie außerhalb des göttlichen Wesens, denn Gott ist rein Wirklichkeit seinem Wesen nach. Deshalb ist die eine Natur im Bereiche des Geschaffenen geschieden von der anderen, denn Gott giebt einer jeden die Art der Möglichkeit, die Ihm gefällt; und da kann das eine Ding für die eine Vollkommenheit Möglichkeit besitzen und das andere Geschöpf für die dieser entgegengesetzten. Geeint aber sind sie alle in der wirkenden Kraft Gottes. Und was immer an Einheit in ihnen ist, das kommt nicht von der Möglichkeit in den einzelnen Dingen; das kommt vom rein Wirklichen, von der wirkenden Kraft Gottes, die allein Wirklichkeit verleiht. Es möchte beim vorliegenden Gegenstande die moderne Glaubenswissenschaft nicht selten gern wieder ein solches Mittelding zwischen Gott und dem Geschöpfe einschieben, wie wir deren oben bei der Dreieinigkeit und bei dem Charakter des übernatürlichen Zweckes gesehen haben. Diese Mitteldinge sollen Gott und seine Fülle von der Kreatur absperren; die Kreatur soll aus sich bereits eine Bestimmung für das einzelne wirkliche Sein mitbringen. Die menschliche Natur soll hier im gegenwärtigen Falle von sich aus den „Zustand der reinen Natur“ bedingen; und erst auf Grund eines besonderen Vorsatzes Gottes soll sie erhoben worden sein zur Vollkommenheit des Urzustandes. Das ist nach den offenbaren Worten des heiligen Thomas falsch. Von sich aus bringt die menschliche Natur nur Möglichkeit mit; Möglichkeit, wie sie der vernünftigen Seele innewohnt. Und mit dieser Möglichkeit ist von der menschlichen Natur aus keinerlei Bestimmung für den wirklichen Zustand, worin sie Thatsächlichleit haben soll, verbunden. Es giebt weder thatsächlich einen status naturae purae, einen Zustand der reinen Natur, noch kann es einen geben. Gott konnte, so sagt Thomas ausdrücklich, den ersten Menschen in den rein natürlichen Verhältnissen, ohne Gnade nämlich, ohne Urgerechtigkeit schaffen. Aber die reine Natur konnte niemals und kann niemals einen Zustand, einen status, d. h. unbeschränkte Dauer begründen. In der reinen Natur ist eben nur Vermögen der Vernunft, Vermögen des Willens, Vermögen der Sinne. Gott konnte den Menschen so schaffen, daß die natürlichen Gegenstande zuerst seine Sinne, dann und vermittelst deren seine Vernunft und endlich seinen freien Willen beeinflußten. Er konnte den Menschen beginnen lassen vom Unvollkommenen, wie die übrige sichtbare Natur nach Augustin vom Vermögen begonnen hat und nicht von der thatsächlichen Wirksamkeit. Aber stehen bleiben in dieser sogenannten reinen Natur konnte der Mensch nicht. Entweder entschloß er sich in seinem ersten freien Akte für das Gute; und dann geschah dies durch die bereits vorher gegebene zuvorkommende einwirkende Gnade. Oder er fiel ab vom Guten; und dann geschah dies durch ihn allein. Es war dann der „Stand“ der Gnade gegeben oder der „Stand“ der Sünde. Thomas bestimmt dies mit äußerster Klarheit in seinen Artikeln über das Bild Gottes im Menschen. Worin besteht das natürliche Bild Gottes im Menschen? Darin daß er im thatsächlichen Wirken Gott ähnlich sein kann. Dieses natürliche Bild besteht nicht im Wirken, es besteht im Vermögen zu wirken. Dies wird noch offenbarer durch die Bestimmung, daß das Bild Gottes im Menschen das Bild der Dreieinigkeit ist. Thomas macht sich selber den Einwurf, der jedenfalls auf den Lippen des Lesers schwebt. Ist denn also der Mensch von Natur fähig, die Dreieinigkeit zu erkennen und zu lieben; da er von Natur Gottes Bild trägt? Nein, antwortet Thomas. „Das natürliche Bild Gottes, wie es in allen Menschen ist, besteht nur darin, daß die Natur des vernünftigen Geistes geeignet ist, Gott zu lieben und zu kennen, haec aptitudo consistit in ipsa natura mentis. .Noch mehr! Es kann von der Natur Gottes kein Bild dem thatsächlichen Sein nach geben, ohne daß es zugleich ein Bild des Dreieinigen sei. Denn „der Natur Gottes entspricht eben der Unterschied in den drei Personen. Das folgt sich notwendig: ein Bild der göttlichen Natur zu sein und ein Bild der drei göttlichen Personen zu sein; das eine schließt das andere ein.“ Unmöglich also kommt der Natur der Seele es zu, das Bild Gottes dem thatsächlichen Sein und Wirken nach in sich zu haben. Thomas thut den letzten Schritt. „Das Bild Gottes ist in der Seele in erster Linie dem thatsächlichen Wirken nach,“ sagt er ausdrücklich; und begründet es damit, daß die göttlichen Personen auf Grund des Ursprunges sich unterscheiden, also auf Grund dessen, wie das thatsächliche Sein der einen sich von dem der anderen ableitet: „wie das Wort vom Sprechenden ausgeht, die Liebe von beiden; ein Wort aber kann in unserer Seele nicht sein ohne thatsächliches Denken.“ Also ist das Bild Gottes der reinen Natur nach in uns nur gemäß dem Vermögen, dem Geeignetsein, dem Empfangenkönnen; es ist dem thatsächlichen Sein nach nur dann in uns, wenn wir thatsächlich Gott lieben und erkennen. Wie aber geschieht dies? „Nicht ein und dasselbe Wort ist es, was der Stein in uns verursacht und was das Pferd in uns verursacht; und nicht dieselbe Liebe ist es, die ein jedes von beiden in uns erweckt;“ sagt Thomas drastisch. Soll in uns das Bild Gottes gemäß dem thatsächlichen Lieben und Erkennen sein, so muß es darstellen die Selbstkenntnis Gottes; das Wort Gottes geht aus von Gott, soweit Er Sich selbst erkennt, die Liebe, soweit Er Sich selbst liebt. In uns ist also das göttliche Bild gemäß dem Worte, das Gott von Sich selber hat und gemäß der Liebe, die Er von Sich selber hat. Da kann aber keine Kreatur und auch nicht der eigene Wille des Menschen es von sich aus verursachen, daß ein solches Erkennen und Lieben, also demgemäß das Bild Gottes thatsächlich in uns wäre. Keine Kreatur kann zeigen, wie sie im Wesen Gottes erkannt und geliebt wird, soweit in diesem Wesen der Sohn vom Vater, der heilige Geist von beiden ausgeht; das ist nur Innerliches und alles Fremde ausgeschlossen. Soll danach das Bild Gottes im Menschen dem thatsächlichen Sein nach sich vorfinden, so kann nur der Dreieinige vermittelst seiner einen wirkenden Kraft selber es in uns verursachen, daß wir Ihn erkennen und lieben in Allem, was wir in den Kreaturen erkennen und lieben; daß also demgemäß alle unsere Kenntnis und Liebe, wenn sie auch direkt auf die Kreaturen sich richtet, doch immer zu ihrem Hauptgegenstande Gott hat, den sie überall in den Kreaturen wie im Spiegel sieht. Es macht bei derselben Gelegenheit der Engel der Schule noch eine andere hier zutreffende Bemerkung: „Die Kenntnis der zeitlichen Dinge als solcher kommt der Seele von außen her zu.“ Kommt sie denn aber nicht von der wirkenden Kraft der Vernunft selber? Vollendet sie sich nicht innerhalb der Vernunft selber? Gewiß. Und trotzdem kommt sie von außen, sie ist „eine Zugabe für die Seele“. Denn die Gegenstande sind außen ihrem wirklichen Sein nach; von außen kommt vermittelst der Sinne der erste bestimmende Einfluß; vom Unvollkommenen beginnt da die Kenntnis, soweit die zeitlichen Dinge für sich allein in Betracht kommen. Aber beim Bethätigen des Bildes Gottes ist der Dreieinige, der zuerst an leitender Stelle einwirkt, durchaus innen; wie der Künstler mit seiner wirkenden Kraft im Werke ist, es formend und begreifend. Die Kenntnis Gottes, wenn sie dem Bilde Gottes gemäß ist, kommt von innen heraus; Freiheit, Kraft, Vollendung mit sich führend. Vermengt so der heilige Thomas die Gnade mit der Natur? In keiner Weise. Er scheidet sie vielmehr voneinander wie Himmel und Erde. Reines Vermögen ist auf seiten der Natur, rein wirkende und bestimmende Kraft auf seiten der Gnade. Unter der Gnadeneinwirkung erkennt eben die Natur selber, daß sie nur Möglichkeit, nur Vermögen; daß sie Nichts ist vor dem Schöpfer. Sie kann als „reine Natur“ in keiner 'Weise „stehen“, d. h. einen Stand haben. Entweder der Himmel für sie oder die Hölle; entweder die Gnade oder die Sünde. Die Natur der vernünftigen Kreatur ist es eben, daß sie alles mit Gott kann, nichts ohne Gott. Sie ist keinem Geschöpfe, sie ist nur Gott gegenüber wie der Tag gegenüber dem Lichte; alle Geschöpfe mit ihr vereint machen vielmehr nur um so größer und offenbarer ihr Möglichsein vor Gott. Da gehört von seiten der Natur ein Fordern an Gott zur vollen Unmöglichkeit. Die Natur ist da ihrem Wesen nach vollstandig getrennt Von Gottes Wesen. Gott ist wesentlich frei, weil niemand von Ihm etwas fordern darf; die Kreatur hat ein Vermögen der Freiheit, weil Gott sie in ihrem Wirken an seiner eigenen Freiheit teilnehmen lassen kann. Da klaren sich die verschiedenen Zustande der einen menschlichen Natur in ihrer wahren gegenseitigen Unterscheidung. Die Natur an und für sich im Menschen ist das allgemeine Vermögen, in der Wirklichkeit Mensch zu sein. Die reine Natur bedeutet dieses selbe allgemeine Vermögen als abgelöst von aller bestimmten Wirklichkeit: das Vermögen nämlich, wie Thomas des öfteren sich ausgedrückt hat, vermittelst der Zuwendung zu den sinnlichen Phantasiebildern thatsächlich vernünftig zu erkennen und zu wollen. Die nächsten Gegenstande dieses Wollens können dann nur die einzelnen sichtbaren Güter sein, insofern sie den Charakter des Guten im allgemeinen tragen. Die vollkommene Natur oder die Natur im Urzustande oder in der Urgerechtigkeit ist diese selbe menschliche Natur zusammen mit ihren Vermögen und Fähigkeiten; aber als eine einzelne, wirkliche betrachtet, insoweit sie das thatsächlich besitzt, wozu die sichtbaren Seinsarten, auf die direkt sich ihre vernünftige Thätigkeit erstreckt, sie bethätigen können. Sie hat in diesem Zustande alles Wissen, wozu die sichtbare Natur sie führen kann; sie hat alle Tugend, welche die sichtbaren Dinge ihr zeigen können und demnach in sie zu pflanzen Vermögen; die Sinne sind da der Vernunft untergeordnet, insofern ihre Natur dies verlangt; die Vernunft steht unter Gott, soweit die umgebenden Dinge dazu anleiten. Was sonst diese selben Vermögen durch ihren Wechselverkehr mit den sichtbaren Dingen am Ende an Vollkommenheit mit Mühe und Arbeit erworben hätten, das, nicht mehr und nicht weniger, besteht bereits von vornherein im „Stande der Unschuld“. Die Natur des Menschen schloß in ihrem Wesen nicht die Mittel oder die positive Möglichkeit, sie schloß nicht das nächste Vermögen ein, Gott seinem Wesen nach anzuschauen; vielmehr weist die vernünftige Natur dieses Vermögen von sich ab und steht nur als geeignet (aptitudo) da, ein solches Vermögen über die Natur hinaus zu erhalten und danach thätig zu sein; — also ist mit der Urgerechtigkeit auch keinerlei an sich und dem Wesen nach rein Übernatürliches, d. h. keinerlei Verdienst für die Seligkeit gegeben. Trotzdem lst die Urgerechtigkeit ein Gnadengeschenk; aber nur in dem Sinne, daß die vernünftige Natur es nicht fordert, von Anfang an alle jene Vollendung zu haben, welche auch immer sie aus der Natur schöpfen kann, und dieser gemäß die niedrigere Natur unbedingt zu leiten. Sie ist ein übernatürliches Gnadengeschenk, weil die Wurzel, aus der sie im Menschen fließt, die übernatürliche Gnade ist; wohlgemerkt „radix“ nennt Thomas die Gnade, welche die Seligkeit verdient, welche das principium merendi ist, mit Rücksicht auf die Urgerechtigkeit. Letztere ist an sich in ihrem Wesen keine Gnade im wahren Sinne. Sie kann deshalb abwesend sein; und doch kann die Gnade anwesend sein. Die Urgerechtigkeit kann ihrerseits anwesend sein; und doch braucht die Gnade nicht alle einzelnen Thätigkeiten anzuregen und zu stützen; es besteht mit ihr, daß der einzelne sündigen kann. Die Ungerechtigkeit wird mit und in der menschlichen Natur als solcher zu einem Vermögen, zw einem Zustande und somit wird sie geeignet, fortgepflanzt zu werden gleich wie die menschliche Natur selber. Oder ist der König verpflichtet, seinen Sohn, sobald dieser es kann, auf den Königsthron zu setzen, damit er mitregiere? Nein. Thut er es, so ist dies von dieser Seite her reine Güte; und doch thut er nichts Anderes als das natürliche Anrecht des Sohnes in seiner Verwirklichung zu beschleunigen und mehr zu vollenden. Nimmt er aber einen Bettler als Thronerben an, so wäre dies reine Gnade. Daß also der Herr dem Menschen die Herrschaft über die sichtbare Natur, zu welcher er kraft der ihm verliehenen natürlichen Vermögen berufen war, gleich im Beginne in aller Vollstandigkeit verliehen hat, anstatt daß derselbe mit Mühe und Not, langsam und unzuverlässig sie erworben; das war ein freies Gnadengeschenk. Daß er aber den Bettler, der dazu gar kein Anrecht hatte, zur Teilnahme an der ewigen Herrlichkeit befähigt durch Verleihung der heiligmachenden Gnade; das war eine reine durchaus und ihrem ganzen Wesen nach übernatürliche Gnade. Und da der Herr in seiner Güte der Urheber beider Geschenke ist, der in ihrem Wesen natürlichen und nur in ihrer thatsächlichen Vollkommenheit übernatürlichen Urgerechtigkeit nämlich einerseits und der heiligmachenden Gnade andererseits, so hat er im Urzustande beide verbinden wollen; so nämlich, daß letztere die Wurzel sei für den Bestand der vollen Urgerechtigkeit, aus welcher deren Gebrauch flösse und die da offenbar mache, wie die Fülle der Urgerechtigkeit dem Menschen nur verliehen war, damit er über dieselbe hinaus nach Gott selber als seinem überaus herrlichen Besitze verlange. Wie schildert doch so sorgsam der heilige Thomas diese Urgerechtigkeit im Paradiese nach allen Seiten hin! Er weiß, das Schifflein seiner Vernunft immer durch die zwei Klippen hindurchzusteuern. Die Urgerechtigkeit in ihrer Fülle ist kein Erzeugnis der Natur; und: die Urgerechtigkeit in ihrem inneren Wesen bewegt sich in den Grenzen der Natur. Wollten wir hier ein Bild entwerfen von der gesellschaftlichen Ordnung, von der Erziehung der Kinder, von der Familie, u. s. w. im Urzustande; — wir würden nichts Anderes finden dem Wesen nach als: unsere jetzige gesellschaftliche Ordnung, die Notwendigkeit des Unterrichts der Kinder, die nämliche Art der Fortpflanzung. Es gäbe keinen atomistischen Staat, wo jeder genau so viel gilt wie der andere; sondern ein organisches Ganze wäre vorhanden mit mehr Begabten und minder Begabten, mit mehr Besitzenden und minder Besitzenden; es gäbe Regierende und Regierte, Lehrer und Lernende, Familienautorität und Familienliebe. Aber dies Alles ginge ohne Störung, ohne Hindernisse von statten; der Wille der Einzelnen ordnete sich von selbst dem Ganzen unter, die Oberen würden, wie Augustin in seiner Regel sagt, in ihrem Innern zu den Füßen ihrer Untergebenen liegen, obgleich sie äußerlich befehlen, denn ängstlich würden sie nur das Beste ihrer Untergebenen zur Richtschnur haben; — und die Untergebenen würden nichts eifriger ersehnen, als den Willen ihrer Oberen zu erfahren. Was auch immer wir in unserem gegenwärtigen Zustande als Vollendung der Natur in ihren Grenzen wünschen können, das würde da über unsere Begriffe hinaus Thatsache sein. Die Unsterblichkeit des Leibes bildete den sichtbaren Ausdruck dieser beiden Charaktere der Urgerechtigleit. Der Mensch kann sich auf der einen Seite nicht eine solche Fülle geben. Es kann überhaupt nur das Menschengeschlecht in der Gesamtheit zu einer gewissen Vollkommenheit der Herrschaft gelangen; so zwar, daß der eine in dem einen Punkte und nach der einen Seite hin herrscht und der andere nach einer anderen. Kein einzelner Mensch aber vermag von sich aus die ganze Fülle der Urgerechtigkeit zu besitzen. Der Besitz derselben von seiten Adams war also eine Wirkung der reinen Güte Gottes und nicht geschuldet der Natur. Das drückte die Unsterblichkeit des Leibes auf der einen Seite aus, insofern derselbe ohne Gottes unmittelbare Beihilfe durch kein natürliches Mittel unsterblich werden kann und doch „nicht in sich eine Eigenschaft trug, welche von innen heraus ihm Unsterblichkeit verliehen hätte“. Die Natur blieb sterblich; aber thatsächlich ward der Tod vermieden und zwar durch innere und äußere Mittel. Die Urgerechtigkeit vollzog sich ferner ihrem wesentlichen Charakter nach in allen ihren Teilen innerhalb der natürlichen Grenzen. Nichts war in ihr, wozu nicht der Mensch an und für sich das natürliche Vermögen gehabt hätte. Das drückte die Unsterblichkeit des Leibes auf der anderen Seite eben durch diese Mittel aus, durch welche sie aufrecht gehalten wurde. Dies geschah 1. durch eine Kraft der Seele; nicht als ob dies ein eigenes Vermögen neben den anderen natürlichen gewesen wäre, sondern es war dies eine Kraft, wie wenn z. B. ein überaus fähiger Lehrer unterrichtet, der dann durch die Art seines Unterrichts das Vernunftvermögen selber des Schülers stärkt, daß dieser leichter und ausdauernder begreift, fester in der Ziehung der Schlußfolgerungen ist. So etwa verlieh die unmittelbare Nähe Gottes, des Schöpfers der Natur, den menschlichen Vermögen höhere Ausdauer und durchdringendere Kraft. Die leibliche Unsterblichkeit wurde 2. aufrechtgehalten durch den Genuß vom Lebensbaume, des „Sakramentes“, wie Augustin sagt, d. i. des äußeren Zeichens der Urgerechtigkeit. Es war damals ein „Kraut“ gewachsen gegen den Tod; dies aber auch nicht so, als wenn diese Frucht den Leib nun ohne weiteres unsterblich gemacht hätte. Sie erhielt nur für eine gewisse Zeit die schwindenden Lebenskräfte zurück; und nach dieser Zeit mußte sie wieder genossen werden, wenn nicht der Körper vergeistigt und so zum Himmel zugelassen wurde. Sollen wir uns konkret ausdrücken, so ist die Urgerechtigkeit eben der „Zustand“, der Stand der reinen Natur; d. h. der reinen, ungeschwächten, in all ihrer natürlichen Kraft wirkenden oder thätigen Natur; wo „kein Hindernis“, wie Thomas sagt, „der Entwicklung der Natur entgegentrat“; wo kein Vermögen gcgen das andere stand, sondern wo alle Vermögen, was an natürlicher Kraft in ihnen war, unter der Führung der Vernunft, die in den Geschöpfen wie in einem Spiegel überall Gottes Kraft und somit überall Einheit erfaßte, zusammenvereinigten, und was das eine Vermögen im Kampfe gegen das andere an Kraft sonst nutzlos eingebüßt hätte, unter der erhaltenden Kraft der ersten Ursache zum Wohle des einzelnen Menschen anwendete. Deshalb fragt Thomas in allen den betreffenden Artikeln immer wie nach der leitenden Richtschnur danach, was mit der Natur des Menschen vereinbar, was ihr eigentümlich ist; und dieses setzt er, nachdem er es von aller Schwäche und Ohnmacht losgelöst, in den „Stand der Urgerechtigkeit“. Daß der Mensch ohne Kampf und ohne Mühe, ohne einen Widerspruch in sich selbst überwinden zu müssen gleich vollendet da stand mit einer Vernunft, die Gott unterworfen war und der demgemäß wiederum die niederen körperlichen Kräfte unterworfen waren; daß also der Mensch die Vollendung in seiner natürlichen Wirklichkeit von vornherein besaß; das war übernatürlich und hatte seine Wurzel unmittelbar in der ihrem ganzen Wesen nach übernatürlichen Gnade im Menschen. Es war, sagt Thomas einmal, supernaturale sed non gratia. Fiel der erste Mensch und verlor er somit die Gnade als die Wurzel für seine natürliche Vollendung in sich, so mußte er auch diese letztere selbst verlieren. Und da ihm die Urgerechtigkeit als dem Stammvater des Menschengeschlechts, als dem ersten Lehrer des ganzen Geschlechts und dem Vertreter der Herrschaft, welche der menschlichen Natur in ihrem Ganzen über die sichtbare Natur verliehen worden war, der Herr unser Gott, geschenkt hatte, so mußte dieselbe und mit ihr der Friede, die Annehmlichkeit, die Vollendung im Menschen selber verloren gehen. Es mußte: Der Stand der gefallenen Natur eintreten; denn der Wille des Menschen hatte selber das Band zerrissen zwischen ihm und Gott, somit aber auch mit der Gnade Gottes und ihren Folgen. Er hatte keinen Anspruch mehr auf Frieden und Ruhe. Noch mehr: er konnte nicht mehr zur natürlichen Vollendung gelangen, da diese von der Gnade als ihrer Wurzel abhängig war und diese Gnade er von sich geworfen hat. Er war des rein Übernatürlichen verlustig geworden und war geschwächt im Natürlichen. Denn die Leichtigkeit, mit welcher er hätte das Gute machen können, wenn ein Vermögen immer das andere unterstützt hätte, verwandelte sich eben dadurch in Schwierigkeit und die Kraft des Vermögens in Ohnmacht, daß ein Vermögen, nachdem das Band des Friedens gelöst war, dem anderen hindernd gegenübertrat. „Was rein natürlich in der menschlichen Natur ist, das ist geblieben;“ wiederholt Thomas. Jedes Vermögen hat seine Richtung behalten auf den ihm eigenen Gegenstand, auf das ihm eigene Gute. Die Natur des Menschen als solche hat ihre Richtung behalten auf den letzten Endzweck. Aber was von der Natur eines besonderen Vermögens nicht kam, die ruhige Verbindung mit dem anderen nämlich im thatsächlichen Wirken; — was von der Natur des Menschen nicht kam, das Mittel für die ewige Seligkeit, respektive das übernatürliche Verdienst; — das existiert nicht mehr im Zustande der gefallenen Natur. Mehr als je müssen wir nun jene Sätze von uns fernhalten, wo auch nur die geringste vorgängige Bestimmung für wirkliche Thätigkeit in die Natur Gott selber gegenüber gelegt wird. Man will in Gott 1. ein gewisses abstraktes Wesen annehmen, ein suppositum, woran dann die drei Personen gleichen Anteil haben sollen. Mit anderen Worten: Man will die Bestimmbarkeit, das Vermögen in Gott hineintragen; damit da bereits etwas sei, was die volle freie Thätigkeit der göttlichen Personen hindere oder irgendwie einschränke; müßten sie doch in diesem Falle nach dieser gemeinsamen Natur, die nicht sie selber sind, wirken. Dagegen lehrt Thomas, die eine Natur Gottes sei selber die göttlichen drei Personen von vornherein und ohne jegliche Trennung, wie wir dies in der Abhandlung über die Dreieinigkeit gesehen haben. Man möchte 2., daß die menschliche Natur von sich aus bereits einen Endzweck in sich enthalte, den sie mit den ihr gegebenen natürlichen Mitteln erreichen kann; und daß dann Gott sie über diesen Zweck hinaus erhoben hat. Thomas dagegen lehrt, es liegt in der menschlichen Natur, daß sie keinen anderen Endzweck haben kann, wie die übernatürliche Anschauung Gottes; und diese heiße und sei übernatürlich, weil die Mittel und Vermögen dazu nicht in der Natur lägen. ' Man möchte 3., daß der dem Menschen natürliche Zustand der „Stand der sogenannten reinen Natur“ sei; als ob die Menschnatur in sich eine unabhängige Bestimmung hätte für einen gewissen „Stand“ oder für ein gewisses wirkliches Thätigsein und Gott erst über diesen Stand hinaus den Menschen erheben müsse. Thomas dagegen lehrt, die natürliche Vollendung selber, aber nur als Vollendung, werde vom Menschen einzig und allein getragen auf Grund der Gnade in ihm als deren Wurzel. Und macht man den Einwurf, dann wäre die Gnade ja etwas Natürliches, so antwortet er stets nur mit der Berufung auf die unmittelbare freie Güte und Urheberschaft Gottes: „Gott hätte dem Menschen aus reiner Güte die Gnade gegeben gleich beim Erschaffen der vernünftigen Seele, wenn Adam nicht gesündigt hätte;“ und geht nicht im geringsten darauf ein, was für einen Zweck die Natur von sich aus hat. Die menschliche Natur ist rein Möglichkeit vor Gott. Und will es „aufrechtstehen das Jerusalem der Seele“, so blicke die Seele nur nach dem Osten; nur dahin, woher sie gekommen, nur in sich selbst blicke sie, nur in ihr eigenes Inneres. Da thront ihr Schöpfer, der Dreieinige, ihr Ursprung, und von Ihm geht alle Bestimmung für die Thätigkeit aus, soweit dieselbe gut ist. Und gerade weil von Ihm im Innern der Seele das erste Einwirken ausgeht, deshalb trägt die Seele dann thatsächlich das Bild des Dreieinigen. Sie erkennt, sie liebt Ihn, je nachdem sie der Einwirkung folgt und wandelt so von Klarheit zu Klarheit geführt von Gottes Geist. Der Ewige selber stellt in unserer Seele sein heiliges Bild her; und wie könnte Er anders! Ist Er doch die Fülle des Seins, der da Allem und Jedem Sein und Thätigkeit giebt und somit auch durch alle Wechselfälle dieser Welt die Seele immerdar zu Sich leiten kann, „wo die wahre Freude ist.“ Stehe deshalb aufrecht Jerusalem, gestützt durch den Arm Gottes und stehe fest in der Höhe; blicke um dich nach Osten und siehe, wie von Gott her auf allen Seiten Freude und Kraft und Frieden dir zuströmt. Siehe deine Kinder, die Vermögen und Thätigkeiten deiner Seele, versammelt und in eins verbunden, von der erhabenen Fähigkeit der Vernunft an bis zu dem tiefsten der körperlichen Vermögen, vom Osten bis zum Westen; „im Worte Gottes allein jubeln sie.“ Thomas wird uns jetzt noch genauer und eingehend die Art und Weise der Thätigkeit Gottes und der Kreaturen darlegen und damit das eben Gesagte bestätigen.
Edition
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Summa theologiae
Prooemium
Iª q. 103 pr.
Postquam praemissum est de creatione rerum et distinctione earum, restat nunc tertio considerandum de rerum gubernatione. Et primo, in communi; secundo, in speciali de effectibus gubernationis. Circa primum quaeruntur octo. Primo, utrum mundus ab aliquo gubernetur. Secundo, quis sit finis gubernationis ipsius. Tertio, utrum gubernetur ab uno. Quarto, de effectibus gubernationis. Quinto, utrum omnia divinae gubernationi subsint. Sexto, utrum omnia immediate gubernentur a Deo. Septimo, utrum divina gubernatio cassetur in aliquo. Octavo, utrum aliquid divinae providentiae contranitatur.