Vierter Artikel. Die Gattungen der Furcht.
a) Damascenus zählt (2. de orth. fide 15.) sechs Gattungen der Furcht auf: Die Trägheit, das Erröten, die Beschämung, die Verwunderung, das Staunen, die Todesangst. Dies scheint aber nicht so. Denn: I. Aristoteles sagt (2. Rhet. 5.): „Die Furcht hat zum Gegenstande ein Übel, was betrübt.“ Also müssen die Gattungen der Furcht denen der Trauer entsprechen; und sind deren sonach nur vier. II. Was in unserem eigenen Thätigsein seinen Bestand hat, das unterliegt unserer Macht. Die Furcht aber zielt auf etwas, was unsere Macht übersteigt. Also dürfen Trägheit im Wirken, Erröten, Beschämung, was alles unser eigenes Wirken betrifft, nicht Gattungen der Furcht sein. III. Die Furcht hat zum Gegenstande das Zukünftige. Die Scham aber ist mit Rücksicht auf etwas Unehrbares, was bereits geschehen ist. IV. Die Furcht richtet sich nur auf das Übel. Verwunderung und Staunen aber richtet sich auf Ungewöhnliches, nicht auf Schlechtes. V. Die Verwunderung hat die Philosophen bestimmt, nachzuforschen. Die Furcht aber thut dies nicht, sondern will vielmehr, daß man fliehe. Also sind alle diese Gattungen falsch angegeben. Auf der anderen Seite steht die Autorität des Damascenus und Nyssenus (de uat. hom. 20.)
b) Ich antworte, Furcht habe zum Gegenstande ein künftiges Übel, was die Macht des Fürchtenden überschreitet; dem man also kaum widerstehen kann. Nun kann sowohl das Gute wie auch das Übel des Menschen sich finden entweder in dessen Thätigkeit selber oder in den äußeren Dingen. Im Thätigsein des Menschen kann sich ein doppeltes Übel finden: 1. Arbeit und Mühe, welche die Natur beschweren; und so wird verursacht Lässigkeit oder Trägheit, wenn jemand fürchtet, thätig zu sein auf Grund der allzu großen Mühe; — 2. kann sich im Thätigsein finden etwas Schimpfliches, was die gute Meinung der Menschen betrifft; und so, wenn dieses Schimpfliche gefürchtet wird für einen noch zu setzenden Akt, ist es Erröten; ist der Akt vorüber, so ist es Scham. Das Übel in den äußeren Dingen kann in dreifacher Weise die Macht des Menschen überragen: 1. wegen seiner Größe, da der Mensch nicht den Ausgang desselben in Betracht ziehen kann; und so ist Verwunderung; — 2. wegen des Ungewohnten, und so ist Staunen; — 3. wegen Unvorhergesehenseins; und so ist Todesangst.
c) I. Jene Gattungen der Trauer wurden hergenommen, nicht von dem Gegenstande, sondern von der Wirkung. Also ist da nicht notwendig, daßdiese Gattungen der Furcht, die vom Gegenstande her genommen sind, jenen entsprechen. II. Insofern das Wirken sich vollzieht„ ist es in der Gewalt des Wirkenden. Hier aber wird ein Moment im Thätigsein betrachtet, dessentwegen dieses bestimmte Thätigsein geflohen wird. III. Vom vergangenen Akte aus kann gefürchtet werden zukünftige Schande; und danach ist Scham eine Gattung der Furcht. IV. Die Verwunderung wegen eines großen Übels nur und Staunen über ein großes Übel nur ist Gattung der Furcht; kein anderes Bewundern und Staunen. V. Der Sichwundernde flieht für den Augenblick davor, ein Urteil über das zu geben, worüber er sich verwundert, weil er einen Fehler fürchtet; — aber für später untersucht er. Der Staunende fürchtet sowohl für den Augenblick zu urteilen als auch später zu untersuchen. Bewunderung also ist der Beginn der Philosophie; Staunen ein Hindernis für dieselbe.
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