Erster Artikel. Die erste Sünde des Menschen wird durch den Ursprung fortgepflanzt.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Ezechiel (18, 20.) sagt: „Der Sohn wird nicht tragen die Missethat seines Vaters.“ II. Eine Eigenschaft wird nur fortgepflanzt, wenn auch das Subjekt, der Sitz derselben zugleich fortgepflanzt wird; denn eine Eigenschaft kann nicht von Subjekt zu Subjekt übergehen, kann nicht, dieselbe eine bleibend, ihren Sitz wechseln. Die menschliche Seele aber als Subjekt oder Sitz der Schuld wird nicht fortgepflanzt durch die Zeugung. Also auch nicht die Schuld. III. Was mit dem menschlichen Ursprunge kraft der Fortpflanzung gegeben ist, das wird durch den Samen verursacht. Der Same aber kann keine Todsünde verursachen; denn er entbehrt jeglicher Vernünftigkeit, die allein Subjekt der Sünde sein kann. IV. Was vollendeter ist in seiner Natur, das ist kraftvoller zum Wirken. Das Fleisch aber als vollkommen ausgebildet in seiner Natur vermag nicht anzustecken die ihm verbundene Seele; sonst könnte die Seele, so lange sie mit dem Fleische vereint ist, von der Erbschuld nicht gereinigt werden. Also kann eine solche Ansteckung noch weniger vom bloßen Samen ausgehen. V. Aristoteles sagt (3 Ehtic. 5.): „Wer von Natur einen Fehler hat, den tadelt deshalb niemand; wer aber fehlerhaft ist wegen seiner Trägheit und Nachlässigkeit, der wird getadelt.“ Von Natur einen Fehler haben das heißt aber selben vom Ursprünge an haben. Also was vermittelst des Ursprunges da ist, das ist nicht tadelnswert und somit keine Sünde. Auf der anderen Seite heißt es Röm. 5.: „Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt getreten und durch die Sünde der Tod.“ Das kann nicht verstanden werden von irgend einer Nachahmung oder Anregung; denn Sap. 2. heißt es: „Durch den Neid des Teufels ist der Tod eingetreten in den Erdkreis.“ Nur also kraft unseres Ursprunges vom ersten Menschen her ist die Sünde in die Welt getreten.
b) Ich antworte, nach dem katholischen Glauben sei festzuhalten, daß die erste Sünde des ersten Menschen kraft des Ursprunges übergeht in die Nachkommen. Und deshalb werden die eben geborenen Kinder zur Taufe getragen, um abgewaschen zu werden von der Ansteckung der Schuld. Das Gegenteil ist die Ketzerei des Pelagius. (Vgl. Augustin. I. Retr. 9.; de peccat. meritis et remiss. 3.; I. c. Julian. 3, et lib. III., c.1.; de Dono persever. 11. et 12. Um aber zu zeigen, in welcher Weise die Sünde des ersten Menschen auf die Nachkommen übergegangen sei, sind verschiedene Wege eingeschlagen worden. Die einen meinten, da die vernünftige Seele der Sitz der Sünde sei, werde deshalb die vernünftige Seele fortgepflanzt mit dem Samen, so daß aus der angesteckten Seele wieder angesteckte Seelen entständen. Andere aber wiesen das als irrtümlich zurück und nahmen an, daß, da die Fehler des Körpers fortgepflanzt werden vom Erzeuger, wie ein Aussätziger z. B. einen Aussätzigen zeugt wegen einer Verderbtheit im Samen, die nicht Aussatz oder ähnlich entsprechend genannt werde, daß so auch, insofern der Körper im Verhältnisse stehe zur Seele, die Mängel der Seele in den Körper überfließen und umgekehrt; daß somit in ähnlicher Weise die Schuld als Mangel in der Seele vermitttelst des Samens in den Sprößling abgeleitet werde; mag auch der Same selbst nicht Sitz der Schuld sein, wie er nicht Sitz des Aussatzes ist und doch selben überträgt. Aber diese und ähnliche Wege sind unzureichend. Denn zugegeben auch daß körperliche Fehler vom Erzeuger übertragen werden auf den Erzeugten kraft des Ursprunges und noch dazu seelische Fehler, welche der schlechten Verfassung des Körpers folgen (wie oft von Narren wieder Narren gezeugt werden); — so scheint doch dieser Umstand, daß der betreffende Fehler vermittelst des Ursprunges da ist, den Charakter der Schuld auszuschließen, da zur Schuld das Freiwillige gehört. Angenommen also auch daß die vernünftige Seele mit fortgepflanzt würde zugleich mit dem Samen, so würde doch damit selbst, daß die Ansteckung des Sprößlings nicht in dessen freier Willensgewalt steht, der Charakter der Schuld, die zur Strafe verpflichtet, schwinden. „Niemand wird dem Blindgeborenen,“ so 3 Ehtic. 5., „aus seiner Blindheit einen Vorwurf machen, sondern man wird ihm vielmehr Mitleid schenken.“ Deshalb muß man einen anderen Weg einschlagen und sagen, alle Menschen werden betrachtet in Adam, insoweit sie aus ihm entstehen, wie ein einziger. Denn alle kommen in der Natur überein, die sie vom ersten Stammvater empfangen; wie etwa im bürgerlichen Leben alle Menschen, welche Glieder ein und desselben staatlichen Gemeinwesens sind, wie eine einzige Körperschaft betrachtet werden und das ganze Gemeinwesen wie ein Mensch. und wie Porphyrius (de specie) sagt: „Mehrere Menschen seien, insofern sie an der nämlichen Gattung teilhaben, ein Mensch.“ So also sind viele Menschen, von Adam aus abgeleitet, wie eben so viele Glieder eines Körpers. Die Thätigkeit aber eines einzelnen körperlichen Gliedes, wie z. B. der Hand, ist nicht eine freiwillige vermittelst des Willens der Hand, sondern vermittelst des Willens der Seele, welche an erster Stelle in Bewegung setzt das betreffende Glied. So also würde der Mord, den die Hand begeht, nicht der Hand angerechnet werden, wenn die Hand für sich betrachtet würde als getrennt vom Körper; — sondern er wird ihr angerechnet, insoweit sie etwas am Menschen ist, was da bewegt wird von dem ersten Princip der bewegenden Kraft im Menschen, vom Willen. Ebenso nun ist die Unordnung, welche in diesem einzelnen von Adam abstammenden Menschen sich findet, nicht eine freiwillige kraft des freien Willens dieses einzelnen Menschen, sondern kraft des Willens des ersten Stammvaters, welcher durch die Bewegung der Zeugung in bestimmender Weise beeinflußt alle, die von ihm ihren Ursprung ableiten; wie der Wille der Seele bewegt alle Glieder zur Thätigkeit. Deshalb wird die Sünde, welche so vom Stammvater in die Nachkommen übergeleitet wird, genannt „die Sünde des Ursprungs,“ „die Erbsünde“; wie die Sünde, welche von der Seele in die Glieder des Körpers abgeleitet wird, genannt wird „thatsächliche“, „persönliche“ oder „aktuelle“ Sünde. Und gleichwie diese durch die eigene That entstehende Sünde nicht Sünde des Gliedes ist, vermittelst dessen sie begangen wird, außer insoweit dieses Glied etwas am Menschen selber ist, weshalb sie „menschliche Sünde“ genannt wird; — so ist die Erbsünde nicht die Sünde dieser einzelnen Person, außer insoweit diese einzelne Person „geerbt“ hat ihre Natur, für dieselbe also den Ursprung ableitet vom ersten Stammvater; und deshalb heißt sie: peccatum naturas; „Sünde der Natur“, nach Ephes. 2.: „Wir waren von Natur Kinder des Zornes.“
c) I. Der Sohn wird nicht gestraft wegen der Sünde des Vaters, außer insoweit er mit teilhat an der Schuld und danach eins ist mit dem Vater. Hier nun eben wird abgeleitet vermittelst des Ursprunges die Schuld vom Vater in den Sohn; wie dies bei der eigenen begangenen Sünde vermittelst der Nachahmung geschieht. II. Die Kraft des Samens kann zwar nicht die vernünftige Seele verursachen, sie bewegt aber zu derselben hin in vorbereitender Weise. Demnach wird durch die Kraft des Samens fortgepflanzt die menschliche Natur vom Vater zum Kinde und zugleich mit ihr die Ansteckung dieser Natur. Denn dadurch eben daß dieser einzelne, der geboren wird, die menschliche Natur empfängt vermittelst der bewegenden Zeugungskraft vom ersten Stammvater her, wird er teilhaft der Schuld desselben. III. Der Kraft und dem Vermögen nach ist im Samen die menschliche Natur; und diese wird begleitet von solcher Schuld. Daß die Schuld thatsächlich im Samen sei, ist dazu nicht notwendig, um die Schuld zu erben. IV. Der Same ist das Princip der Zeugung, die da ist ein der menschlichen Natur eigener, zu ihrer Fortpflanzung dienender Akt. Mit mehr Recht also wird die Seele vermittelst des Samens angesteckt wie ver mittelst des bereits vollendeten Körpers oder Fleisches, das bereits zur Person durchaus gehört und für sie bestimmt ist. V. Wird der Geborene an sich betrachtet, so ist das, was durch den Ursprung da vorhanden ist, nichts Tadelnswertes. Wird er aber auf sein Princip bezogen, so kann da Tadelnswertes sein; wie ja auch, wer geboren wird, mit an der Schande teilhat, welche durch die Schuld seiner Erzeuger Verursacht worden ist.
