Zweiter Artikel. Andere Sünden des ersten Stammvaters oder der nächsten Eltern werden nicht fortgepflanzt.
a) Dementgegen wird: I. Nicht gestraft, ohne daß eine Schuld da wäre. Exod. 20. aber steht geschrieben: „Ich bin der eifernde Gott, der ich heimsuche die Missethat der Väter bis zu den Kindern in das dritte und vierte Geschlecht hinein.“ Also geht die Schuld der Eltern über auf die Kinder. Nach menschlichem Rechte auch werden manchmal wegen eines Majestätsverbrechens, das der Vater begangen, die Kinder enterbt; d. h. die Familiengüter eingezogen. II. Der Mensch pflanzt fort auf sein Kind die Sünde des ersten Stammvaters. Also weit mehr wird er fortpflanzen die eigenen Sünden; wie auch das Feuer, was da eigene Wärme hat, besser wärmt, als warmgemachtes Wasser. III. Deshalbhaben wir die Sünde des ersten Stammvaters geerbt, weil wir in ihm waren, wie im Princip der Natur, die er verdarb. So aber waren wir auch in den nächsten Eltern, wie in gewissen Principien der Natur, die da,wenn auch bereits verdorben, doch noch mehr verdorben werden kann, nach Apoc. ult.: „Wer mit Schmutz bedeckt ist, der werde es noch mehr.“ Also die Kinder erben die Sünden ihrer Eltern ebenso, wie die Sünde des Stammvaters aller. Auf der anderen Seite ist es dem Guten mehr naturgemäß, sich auszubreiten, wie dies dem Bösen entspricht. Die Verdienste der nächsten Eltern aber gehen nicht über in die Nachkommen; also noch weniger die Sünden.
b) Ich antworte. Augustin erhebe (Enchir. 46.) diese Frage und lasse sie ungelöst. Sieht jedoch jemand genauer zu, so muß er finden, daß unmöglich Sünden der nächsten Eltsrn oder auch des ersten Stammvaters, außer der ersten, vermittelst des Ursprunges fortgepflanzt werden können. Der Grund davon ist, daß der Mensch wohl einen Menschen zeugt, der die gleiche Natur hat; nicht aber einen Menschen, der dasselbe Einzelwesen ist. Was also unmittelbar zum Einzelwesen gehört, wie die persönlichen Akte und was damit in Verbindung ist, das wird nicht in die Kinder fortgepflanzt. Denn z. B. der Grammatiker pflanzt nicht fort in seine Kinder die grammatikalische Wissenschaft, die er durch eigenes Studium sich erworben. Was aber zur Natur der Gattung gehört, das wird fortgepflanzt von den Eltern in die Kinder, es müßte denn ein Fehler der Natur dazwischentreten; wie also z. B. der mit Augen Begabte einen mit Augen Begabten erzeugt, wenn die Natur nicht in etwa ermangelt. Und wenn die Natur stark ist, so werden wohl einige Eigenschaften des Einzelwesens mitfortgepftanzt, die zur Verfassung oder Vollendung der Natur gehören, wie die Schnelligkeit in der körperlichen Bewegung, die Kraft des Talents u. dgl.; — niemals aber das, was rein persönlich ist. Nun gehört zur Person etwas gemäß ihr selbst; und etwas Anderes gemäß dem Geschenke der Gnade. So kann also auch zur Natur gehören etwas gemäß ihr selbst; und etwas Anderes gemäß dem Geschenke der Gnade. Und auf diese Weise war die Urgerechtigkeit (I. Kap. 100, Art. 1) als ein Geschenk der Gnade mitgeteilt der ganzen menschlichen Natur im ersten Stammvater; und dieses Geschenk verlor dieser durch die erste Sünde. Wie also diese Urgerechtigkeit zugleich mit der Natur fortgepflanzt worden wäre in die Nachkommen; so geschieht es nun mit der entgegengesetzten Unordnung. Andere Sünden nun des ersten Stammvaters oder der nächsten Eltern verderben nicht die Natur rücksichtlich dessen, was der Natur zukommt, sondern nur rücksichtlich dessen, was der Person zugehört; das will heißen nur mit Rücksicht auf die Leichtigkeit, den persönlichen Akt zu setzen. Und somit werden andere Sünden nicht fortgepflanzt.
c)I. Mit geistiger Strafe werden die Söhne nicht bestraft für die Sünden der Eltern (Aug. ep. ad Avitum), es sei denn daß sie Anteil haben an deren Schuld entweder kraft des Ursprunges oder wegen der Nachahmung; denn jede Seele ist Gottes ohne weitere Vermittlung. Mit körperlicher Strafe aber werden manchmal die Kinder für die Missethaten der Eltern gestraft, insoweit das Kind gemäß dem Körper etwas dem Vater Zugehöriges ist und so wird der Vater gleichsam in dem, was er Teuerstes besitzt, gestraft. II. Die persönlichen Sünden der nächsten Eltern sind ihrer Natur nach unfähig, fortgepflanzt zu werden; denn sie eignen nur der Person zu. III. Die erste Sünde verdirbt die menschliche Natur in dem, was zur Natur gehört; andere Sünden aber nur in dem, was zur Person gehört.
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