Vierter Artikel. Das Alte Gesetz mußte dem Volke der Juden allein gegeben werden.
a) Das Gegenteil wird dargethan: I. Das Alte Gesetz bereitete vor für das Heil in Christo. Dieses Heil aber war nicht den Juden allein vorbehalten; nach Isai. 49.: „Wenig kommt es mir darauf an, daß du mir Knecht bist, um die Stämme Jakob zu erwecken und die Hefe Israels zu bekehren; als Leuchte der Völker habe ich dich hingestellt, daß du verkündest mein Heil bis zu den Grenzen der Erde.“ Allen Völkern also mußte das Alte Gesetz gegeben werden und nicht allein den Juden. II. Act. 10. heißt es: „Gott sieht nicht die Personen an; sondern in jedem Volke ist von Ihm angesehen, wer Ihn fürchtet und gerecht ist.“ Also durfte nicht einem einzigen Volke das Gesetz gegeben werden. III. Vermittelst der Engel ist das Gesetz gegeben worden: „Einem jeden Volke aber hat Gott einen Engel als Leiter vorgesetzt,“ sagt Ekkli. 17. Und jedem Volke hat Er zeitliche Güter gegeben, die doch minder Gegenstand der göttlichen Vorsehung sind wie die geistigen. Also. Auf der anderen Seite sagt Paulus (Röm. 3.): „Was hat der Jude mehr?. Nach jeder Seite hin Vieles. Denn zuvörderst sind ihnen anvertraut worden die offenbarenden Worte Gottes;“ — und Ps. 147.: „Nicht hat Er (Gott) so gethan mit jeder Nation; und seine Ratschlüsse hat Er ihnen nicht offenbart.“
b) Ich antworte, man könnte als Grund angeben, daß das Volk der Juden allein nicht in Götzendienst gefallen, sondern dem einen Gotte treu geblieben ist; und daß ihm darum vor allen Völkern die Offenbarung geworden, damit das Heilige nicht den Hunden vorgeworfen zu werden schiene. Aber dieser Grund ist nicht stichhaltig. Denn später, nachdem das Gesetz bereits gegeben worden, verfielen die Juden in Götzendienst; was weit schwerer ist, nach Exod. 32. Und der Prophet Amos sagt (5, 25.): „Habt ihr nicht mir Opfer dargebracht in der Wüste während vierzig Jahre, Haus Israel? Oder habt ihr das heilige Zelt getragen für Moloch, eueren Oott, und das Bild euerer Götter, das Gestirn eueres Gottes, was ihr euch selber gemacht habt?“ Ebenso noch ausdrücklicher Deut. 9.: „Wisse, daß nicht wegen deiner Gerechtigkeit der Herr, dein Gott, dir dieses Land hier in Besitz gegeben hat, da du ein Volk von äußerst hartem Nacken bist.“ Den wahren Grund finden wir kurz vorher: „Damit der Herr erfülle sein Wort, das Er unter Eidschwur verheißen hat deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob.“ Welche Verheißung nun ihnen geworden ist, zeigt Paulus (Gal. 3.) mit den Worten: „Dem Abraham sind geworden die Verheißungen und seinem Samen. Nicht sagt er: in den Samen als ob dieser Same ein vielfacher wäre, sondern: in deinem Samen nämlich in Einem, der da Christus ist.“ Das Gesetz also und andere besondere Wohlthaten hat Gott diesem Volke bewilligt auf Grund der den Vätern gewordenen Verheißungen, daß Christus aus ihnen geboren werden solle. Denn es gebührte sich, daß jenes Volk, aus dem Christus geboren werden sollte, einer gewissen besonderen Heiligung sich erfreue, nach Lev. 19.: „Heilig sollt ihr sein, weil ich heilig bin.“ Und auch nicht auf Grund der Verdienste Abrahams geschah es, daß ihm verheißen wurde, Christus werde aus seinem Samen geboren werden, sondern auf Grund freier Auswahl und Berufung von seiten Gottes. Daher heißt es Isai. 41.: „Wer hat erweckt den Gerechten vom Sonnenaufgange her; und ihn gerufen, daß er Ihm folge?“ Also aus freier Wahl Gottes erhielten die Väter die Verheißung und empfing das von ihnen ausgehende Volk das Gesetz; wie es Deut. 4. heißt: „Du hast die Worte des Herrn mitten aus dem Feuer gehört, weil Er geliebt hat deine Väter und erwählt hat den Samen nach ihnen.“ Daß Gott nun, wenn weiter gefragt wird, warum Er dieses Volk erwählt hat und kein anderes, gerade das Volk der Juden auserwählte, damit Christus aus ihm geboren wurde, hat jenen Grund, welchen Augustin (super Joa. tract. 26.) angiebt: „Weshalb Gott diesen zieht und jenen nicht, das wolle nicht erforschen, wenn du nicht irren willst.“
c) I. Christus mußte immerhin aus einem bestimmten Volke geboren werden, obgleich allen Völkern Heil werden sollte. Deshalb sagt Paulus von den Juden (Röm. 8.): „Denen es zugehört, das auserwählte Volk Gottes zu sein und das Testament zu haben und die Gesetzgebung, zu denen die Väter gehören und aus welchen Christus ist dem Fleische nach.“ II. Nur in dem, was geschuldet wird, kann von einem Ansehen der Personen gesprochen werden; in dem, was aus freier Wahl Gottes bewilligt wird, kann von einem Ansehen der Person gar nicht die Rede sein. Denn jener sieht nicht Personen an, der von dem, was ihm zugehört, dem einen giebt und nicht dem anderen. Nur wer von den ihm zur Verwaltung anvertrauten gemeinsamen Gütern nicht gleichmäßig verteilt gemäß den Verdiensten der einzelnen, der sähe die Personen an. Gott aber bewilligt dem Menschen die zum Heile leitenden Wohlthaten aus reiner Gnade; also ist bei Ihm auch dann kein Ansehen der Person, wenn er die einen vor den anderen bevorzugt. Danach sagt Augustin (6s praed. auctor. 8.): „Alle, welche Gott belehrt, belehrt Er aus Barmherzigkeit; und welche Er nicht belehrt, die belehrt Er nicht aus gerechtem Ratschlüsse. Denn das kommt daher, weil das menschliche Geschlecht wegen der Sünde des ersten Stammvaters verdammt ist.“ III. Nur die Wohlthaten der Gnade werden infolge der Schuld den Menschen entzogen; nicht die Wohlthaten der Natur. Zu letzteren gehören die Dienstleistungen der Engel, welche die natürliche Ordnung verlangt; und auch die körperlichen Hilfsmittel, die Gott den Tieren selbst zuteilt, nach Ps. 35.: „Menschen und Tieren wirst Du helfen, o Gott.“
