Vierter Artikel. Auch Vorschriften, die sich auf das richterliche Urteilen beziehen, sind im Alten Gesetze enthalten.
a,) Dies scheint nicht. Denn: I. Augustin sagt (6. contra Faustum 2.): „Im Alten Gesetze sind Vorschriften, welche das praktische sittliche Leben betreffen; und solche, welche ein solches Leben nur bezeichnen.“ Also sind da nur Moral- und Ceremonialvorschriften. II. Zu Ps. 118: „Von Deinen Urteilen bin ich nicht abgewichen“ sagt die Glosse (Cassiodors); „d. i. von dem, was Du als Richtschnur des Lebens aufgestellt hast.“ Das sind aber Moralvorschriften. Also sind die Vorschriften für das richterliche Urteilen nicht von diesen verschieden. III. Urteilen ist ein Akt der Gerechtigkeit, nach Ps. 93.: „Bis die Gerechtigkeit sich wendet zum Urteile.“ Der Akt der Gerechtigkeit wie der Akt jeder anderen Tugend gehört aber in das Moralgebiet. Auf der anderen Seite heißt es Deut. 6.: „Das sind die Vorschriften und die Ceremonien und die Urteile;“ wo „Vorschriften“ bezeichnet das Moralische.
b) Ich antworte, zum göttlichen Gesetze gehöre es, die Menschen untereinander in gute Ordnung zu bringen und zu Gott hin. Beides nun gehört im allgemeinen zur Vorschrift des Naturgesetzes, worauf die moralischen Gebote bezogen werden. Jedoch muß jedes von beiden des weiteren näher bestimmt werden durch menschliche und göttliche Gesetze, weil die kraft der Natur gekannten Principien allgemein sind sowohl im Bereiche des Spekulativen wie des Praktischen. Wie also die näheren Bestimmungen des allgemeinen Gesetzes rücksichtlich des göttlichen Kultes geschieht durch die Ceremonialvorschriften, so vollzieht sich die weitere nähere Bestimmung des allgemeinen Gesetzes rücksichtlich der Gerechtigkeit im Verhältnisse der Menschen zu einander vermittelst der auf das Urteilen bezüglichen Vorschriften. Wenn also der Apostel sagt, „das Gebot sei gerecht;“ so bezieht sich dies auf die richterlichen Gesetze; — „es sei heilig;“ so bezieht sich dies auf die Ceremonialvorschriften; — „es sei gut;“ so bezieht sich dies auf die Moralgesetze.
c) I. Sowohl die Moral- wie die richterlichen Vorschriften gehören zur Leitung des menschlichen Lebens. Beides faßt Augustin in eins zusammen. II. „Urteilen“ bezeichnet die Ausführung der Gerechtigkeit; sie vollzieht sich vermittelst der Anwendung der Vernunft auf einzelne Fälle in bestimmtester Weise. Insoweit also die richterlichen Vorschriften von der Vernunft sich ableiten, kommen sie überein mit den moralischen; und insoweit sie nähere Bestimmungen allgemeiner Vorschriften sind, kommen sie überein mit den Ceremonialvorschriften. Deshalb werden unter den „Urteilen“ oder „Ratschlüssen“ manchmal zusammengefaßt die richterlichen und die moralischen Vorschriften, wie Deut. 5.: „Höre, Israel, die Ceremonien und die Ratschlüsse;“ zuweilen aber werden zusammengefaßt die Ceremonial- und richterlichen Vorschriften nach Lev. 18.: „Ihr sollt thun meine Ratschlüsse und meine Gebote sollt ihr beobachten,“ wo „Gebot“ zum Moralischen gehört, „Ratschluß“ aber oder „Urteil“ die Ceremonial- und richterlichen Vorschriften umfaßt. III. Der Akt der Gerechtigkeit im allgemeinen gehört den Moralvorschriften an; — die nähere Bestimmung desselben im besonderen, einzelnen zu den richterlichen Vorschriften.
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