Fünfter Artikel. Andere Vorschriften wie die genannten sind im Alten Gesetze nicht enthalten.
a) Es scheinen noch andere Arten von Vorschriften da enthalten zu sein. Denn: I. Die richterlichen Vorschriften gehören dem Thätigsein der Gerechtigkeit an; die Ceremonialvorschriften dem Thätigsein der Tugend der Religion, durch welche Gott verehrt wird. Außer diesen Tugenden aber, welche die Beziehungen der Menschen unter sich selbst und zu Gott regeln, giebt es noch viele andere, wie die Mäßigkeit, die Stärke etc. Also müssen auch dafür Vorschriften bestehen. II. Deut. 11. heißt es: „Liebe den Herrn, deinen Gott, und seine Gebote beobachte und seine Ceremonien und Ratschlüsse und Aufträge.“ Die „Gebote“ nun gehören in das Bereich des Moralischen; also außer den genannten giebt es noch eigens sogenannte „Aufträge“ oder Vorschriften. III. Deut. 6. wird gesagt: „Bewahre die Gebote deines Herrn und seine Zeugnisse und Ceremonien, die ich dir vorgeschrieben.“ Da sind nun noch „Zeugnisse“ genannt. IV. Ps. 118 beteuert der Psalmist: „In Ewigkeit nicht.will ich vergessen Deine Rechtfertigungen.“ Es giebt also außer den genannten Arten von Vorschriften im Alten Gesetze noch „Rechtfertigungen“. Auf der anderen Seite steht geschrieben Deut. 6.: „Das sind die Gebote, Ceremonien und Urteile, die der Herr, unser Gott, euch gegeben hat.“ Da dies nun am Anfange des Gesetzes steht, so sind alle Vorschriften desselben in diesen Klassen enthalten.
b) Ich antworte, im „Gesetze“ finde sich Einiges nach Weise von Vorschriften; Anderes wie dazu dienend, die Vorschriften zu erfüllen. Die Vorschriften nun betreffen das, was gethan werden soll. Zu deren Erfüllung aber wird der Mensch angeleitet durch die Autorität des Befehlenden und durch den Nutzen, welcher in der Erfüllung liegt, insoweit entweder etwas Ehrbares oder Ergötzliches oder nur Zweckdienliches erreicht öder das Gegenteil geflohen werden soll. Die Autorität nun des Befehlenden wird empfohlen z. B. Deut. 6.: „Höre, Israel; der Herr, dein Gott, ist ein einiger Gott“ und Gen. 1.: „Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde!“ Derartiges bezeichnet man als Zeugnisse. Sodann werden Belohnungen verheißen denen, die das Gesetz beobachten und Strafen angedroht jenen, die das Gesetz übertreten. So z. B. Deut. 28.: „Wenn du hörst auf die Stimme deines Gottes …. wird er dich erheben über alle Völker.“ Dergleichen nennt man Rechtfertigungen, insoweit Gott gerechterweise belohnt oder bestraft. Nun fällt das zu Thuende nur unter die Vorschrift, insoweit es in irgend einer Weise den Charakter der Verpflichtung trägt. Doppelt aber ist eine solche Verpflichtung: die eine nach der Richtschnur der Vernunft; die andere nach der Richtschnur einer gesetzlichen Bestimmung; wonach auch Aristoteles (5 Ethic. 7.) unterscheidet zwischen dem moralischen Gerechten und dem gesetzlichen. Die moralische Verpflichtung ist wieder eine doppelte, insoweit etwas hingestellt wird als notwendig für die Erreichung des Zweckes oder als nützlich, damit die Ordnung der Tugend besser eingehalten werde, wenn sie auch ohne das bewahrt werden kann. Danach nun wird manches Moralische in bestimmtester Weise vorgeschrieben; wie: Du sollst nicht töten, nicht stehlen; — und dergleichen heißt: Gebote. Anderes wird nicht so bestimmt vorgeschrieben, sondern nur als das Bessere; — und dergleichen heißt: Aufträge. So heißt es Exod. 22.: „Wenn du als Pfand von deinem Nächsten erhalten hast sein Kleid; so gieb es ihm zurück vor Sonnenuntergang;“ diese Aufträge schließen eine gewisse Anleitung und Überredung zu etwas in sich ein. Deshalb sagt Hieronymus: „In den Geboten ist Gerechtigkeit, in den Vorschriften oder „Aufträgen“ Liebe.“ (Prooem. in Marc.) Die Verpflichtung aber, welche aus der Bestimmung eines Gesetzes entspringt, gehört in den menschlichen Dingen zu den richterlichen Vorschriften; in den Beziehungen auf Gott zu den Ceremonialvorschriften. Obgleich nun auch Alles, was sich auf Strafe oder auf Belohnung bezieht, als Zeugnis bezeichnet werden kann, insoweit dies eine Beteuerung der göttlichen Gerechtigkeit in sich enthält, so können doch alle Vorschriften des Gesetzes Rechtfertigungen genannt werden, insoweit sie gewisse Ausführungen der gesetzlichen Gerechtigkeit sind. Gebot kann dann auch genannt werden, was Gott selber befohlen hat; Auftrag, was Er durch andere befiehlt, wie der Ausdruck selber zu besagen scheint.
c) I. Die Gerechtigkeit allein schließt den Charakter der Verpflichtung ein – und deshalb ist das Moralische insoweit bestimmbar durch das Gesetz als es zur Gerechtigkeit gehört; die „Religion“ ist ein Teil der Gerechtigkeit nach Cicero. (2. de inv.) Das gesetzliche Gerechte also kann nichts Weiteres sein wie die Ceremonial- und richterlichen Vorschriften. II und III sind im obigen beantwortet.
