Zweiter Artikel. Die Vorschriften des Alten Gesetzes bezüglich der Ceremonien haben auch einen Wortgrund, nicht bloß einen figürlichen.
a) Sie schließen ihrem Wortsinne nach einen Grund aus. Denn: I. Unter den hauptsächlichen Ceremonialvorschriften war die Beschneidung und das Osterlamm. Von der ersten aber ist gesagt (Gen. 7.): „Ihr sollt beschneiden das Fleisch euerer Vorhaut; auf daß dies sei das Zeichen des Bundes zwischen mir und euch;“ und vom Osterlamme (Exod. 13.): „Wie ein Zeichen wird es sein in deiner Hand und wie ein Denkmal vor deinen Augen.“ Also war da nicht der Wortsinn maßgebend. II. Die Wirkung steht im Verhältnisse zu ihrer Ursache. Alle Ceremonialvorschriften aber sind figürliche. Also haben sie auch nur einen figürlichen Grund. III. Was an und für sich, seiner Natur nach, gleichgültig dafür ist, ob es so oder so sich gestalte, das hat offenbar von sich aus keinen bestimmenden Grund; also keinen Grund, der aus dem Worte selber sich ergebe. So aber sind viele Ceremonialvorschriften; wie z. B. die Zahl der Opfertiere und ähnliche Umstände. Also ist da kein Wortgrund. Auf der anderen Seite waren die Ceremonialvorschriften im selben Sinne figürlich wie die geschichtlichen Thatsachen des Alten Bundes, nach 1. Kor. 10.: „Alles war bei ihnen als figürlich zu betrachten.“ In diesen geschichtlichen Thatsachen aber findet sich außer dem mystischen oder figürlichen Sinne auch ein Wortsinn. Also ist dies auch bei den Ceremonialvorschriften der Fall.
b) Ich antworte, der Grund des Zweckdienlichen wird vom Zwecke hergenommen. Der Zweck aber der Ceremonialvorschriften ist: 1. der Kult Gottes für jene Zeit; und 2. Christum vorzubilden. So berücksichtigten auch die Worte der Propheten so die Gegenwart, daß sie zugleich die Figur enthielten für das Zukünftige, nach Hieronymus (sup. Osee c. 1. abiit et accipit). Erstens also müssen die Gründe für die Ceremonialvorschriften entnommen werden den Bedürfnissen des göttlichen Kult, wie er damals zu beobachten war. Und diese Gründe bilden den Wortgrund, sei es daß diese Vorschriften dazu dienten, den Götzendienst zu vermeiden oder die göttlichen Wohlthaten in Erinnerung zu bringen oder die Allmacht und Majestät Gottes vorzustellen oder um die Verfassung der Seele zu bezeichnen, die damals für den göttlichen Kult erforderlich war. Ferner sind die Gründe herzunehmen aus der Beziehung der Ceremonialgebote auf Christum; und so haben sie figürliche Gründe, sei es daß sie auf Christum selbst und die Kirche sich beziehen — das sind die allegorischen; sei es daß sie Beziehung haben auf die Sitten des christlichen Volkes — das sind die moralischen; sei es daß sie auf die ewige Herrlichkeit zeigen, zu der wir durch Christum gelangen — das sind die anagogischen Gründe.
c) I. Der Sinn einer an sich metaphorischen Redeweise in der Schrift ist der wörtliche; denn deshalb sind die Worte da, damit sie dieses bezeichnen; sowie in der Redeweise: „Der Fels aber war Christus“, der Fels nach dem Wortsinne Christus ist und nicht ein natürlicher Felsen, der nur figürlich auf Christum zeigte. So nun sind auch die Bezeichnungen jener Ceremonialgesetze, die zur Erinnerung an die Wohlthaten Gottes eingerichtet worden oder zu etwas Ähnlichem, der Ursache wie sie in den Worten liegt entsprechend. Daß also das Osterfest gefeiert wird als Zeichen der Befreiung aus Ägypten; und daß die Beschneidung ein Zeichen des Bundes ist zwischen Gott und Abraham; das gehört zum Wortgrunde. II. Auch behufs der Verehrung Gottes zur damaligen Zeit sind die Ceremonialvorschriften gegeben; nicht nur, um Christum vorzubilden. III. Wie die menschlichen Gesetze (Kap. 96, Art. 3) nur im allgemeinen einen Grund haben, nicht aber für alle Einzelbestimmungen, die der Willkür ihrer Urheber entstammen; so haben auch viele Einzelbestimmungen in den Ceremonien des Alten Gesetzes nur einen figürlichen Grund; allgemein genommen aber haben sie einen Wortgrund.
