Erster Artikel. Die Furcht ist eine Wirkung des Glaubens.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Die Furcht geht dem Glauben vorher, nach Ekkli. 2.: „Die ihr Gott fürchtet, glaubet Ihm.“ Also folgt sie nicht als Wirkung nach. II. Das Nämliche ist nicht Ursache von einander entgegengesetzten Dingen. Die Furcht aber ist (I., II. Kap. 23, Art. 2.) der Hoffnung entgegengesetzt. Nun „erzeugt der Glaube die Hoffnung“ nach der Glosse zu Matth. 1. (Abraham genuit Isaac.) Also erzeugt er nicht die Furcht. III. Das Eine erzeugt nicht das Andere ihm Entgegengesetzte. Der Gegenstand des Glaubens aber ist ein Gut, nämlich die erste Wahrheit; der Gegenstand der Furcht ist ein Übel. Da nun die Akte ihren Wesenscharalter haben vom Gegenstande her, so ist der Glaube vielmehr der Furcht entgegengesetzt als daß er ihre Ursache wäre. Auf der anderen Seite steht bei Jakob 2.: „Die Teufel glauben und zittern.“
b) Ich antworte, die Furcht sei eine Thätigkeit des begehrenden Teiles. Von allen solchen Thätigkeiten ist aber das Princip ein aufgefaßtes Gut oder ein aufgefaßtes Übel. Nun vollzieht sich kraft des Glaubens in uns die Auffassung gewisser Übel als Strafen der göttlichen Gerechtigkeit. Also ist in dieser Weise der Glaube die Ursache der Furcht; — und zwar der knechtischen Furcht, soweit jemand fürchtet, von Gott gestraft zu werden; der kindlichen, soweit jemand fürchtet, von Gott getrennt zu werden, oder soweit jemand zu Gott seine Zuflucht nimmt, indem er Gott ehrt und anbetet; was Alles nämlich der Glaube lehrt, denn durch ihn erkennen wir in Gott das höchste und schönste Gut. Die erstgenannte Furcht ist verursacht vom ungeformten Glauben; die zweitgenannte von dem durch die Liebe vollendeten, die da macht daß man Gott anhängen will.
c) I. Die Furcht kann nicht, im allgemeinen aufgefaßt, dem Glauben vorhergehen; denn der Glaube erst unterrichtet uns über die Strafen der Gerechtigkeit Gottes, über die göttliche Größe und Liebe etc. Wird aber der Glaube an einige Artikel vorausgesetzt, z.B. der an die Majestät der Allgewalt Gottes, so folgt zuvörderst die heilige Furcht Gottes; und daraus folgt wieder dann, daß der Mensch seine Vernunft unterwirft, um Alles von Gott Verheißene zu glauben. Deshalb folgen in jener Stelle die Worte: „Und eueres Lohnes werdet ihr nicht verlustig gehen.“ II. Der Glaube erzeugt nach einer Seite hin die Hoffnung; denn er belehrt über die den Gerechten verheißenen Belohnungen. Er erzeugt nach der anderen Seite hin die Furcht; denn er belehrt über die Strafen, welche Gott über den Sünder verhängt. III. Der leitende Gegenstand des Glaubens ist das Gute, nämlich die erste Wahrheit. Nebenbei aber ist Gegenstand des Glaubens auch manches Übel; z. B. ein wie großes Übel es sei, Gott nicht zu gehorchen; oder welche Strafen dem Sünder drohen. Und so ist er Ursache der Furcht.
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