Dritter Artikel. Die Verzweiflung ist die größte Sünde.
a) Dem wird widersprochen: I. Die Verzweiflung kann ohne Unglauben sein; dieser aber ist (s. oben) die größte Sünde. II. Dem größeren Gute steht ein größeres Übel gegenüber. Die Liebe aber ist größer als die Hoffnung. (1. Kor. 13.) Also ist der Haß Gottes größer wie die Verzweiflung. III. In der Sünde der Verzweiflung findet sich nur die ungeregelte Abwendung von Gott. In anderen Sünden aber ist noch dazu eine un geregelte Zuwendung. Also giebt es größere Sünden wie die Verzweiflung. Auf der anderen Seite klagt Jeremias (30, 12.): „Unheilbar ist dein Bruch; im höchsten Grade schlecht deine Wunde.“ Die Sünde der Verzweiflung aber ist unheilbar, nach Jerem. 15.: „Meine verzweifelte Wunde hat die Heilung zurückgewiesen.“ Also ist die Verzweiflung die im höchsten Grade schlechte Sünde.
b) Ich antworte, da die theologischen Tugenden unmittelbar Gott zum Gegenstände haben, so seien die ihnen entgegengesetzten Sünden schwerer wie die anderen; denn sie schließen direkt die Abwendung von Gott in sich ein. In jeder Sünde aber rührt der Charakter des Schlechten in erster Linie von der Abwendung von Gott her; und könnte eine ungeregelte Zuwendung zu etwas Vergänglichem ohne Abwendung von Gott bestehen, so wäre da keine schwere Sünde. Was also an erster Stelle und an und für sich Abwendung von Gott einschließt, das ist die schwerste unter allen Todsünden. Nun ist der Haß Gottes und die Ungläubigkeit wohl an sich, d. h. in Anbetracht ihres Wesens schwerer wie die Verzweiflung. Denn durch den Unglauben verachtet der Mensch die Wahrheit Gottes selber; durch den Haß Gottes setzt er sich in direkten Gegensatz zur göttlichen Güte und Liebe; die Verzweiflung aber läßt nur nicht zu, daß der Mensch für sich die Teilnahme an der göttlichen Güte erwartet. Wird jedoch die Verzweiflung mit den beiden anderen Sünden von unserer Seite her, und nicht an sich, verglichen, so ist sie gefahrvoller wie die zwei anderen. Denn die Hoffnung nähert uns dem Guten und hält ab vom Bösen. Ist sie also verschwunden, so stürzen sich ohne irgend einen Zügel die Menschen in alle Laster und enthalten sich alles Guten. Deshalb sagt die Glosse zu Prov. 24, 10.: „Nichts ist fluchwürdiger wie die Verzweiflung; denn wer sie im Herzen hat, der verliert in den gewöhnlichen Arbeiten des Lebens und, was schlimmer ist, im Kampfe des Glaubens die Standhaftigleit.“ Und Isidor (2. de summo Bono 14.) schreibt: „Eine schwere Sünde begehen, ist der Tod der Seele; Verzweifeln aber ist dasselbe wie in die Hölle hinabsteigen.“
c) Damit beantwortet.
