Zweiter Artikel. Die geistige Freude, welche von der heiligen Liebe verursacht wird. ist nicht mit Trauer vermischt.
a) Dies scheint nicht richtig zu sein. Denn: I. Sich mitfreuen mit dem Nächsten und über seine Vorzüge, ist der Liebe eigen, nach 1. Kor. 13.: „Sie freut sich nicht über die Bosheit, freut sich aber mit an der Wahrheit.“ Diese Freude nun ist mit Trauer vermischt: „Freut euch mit den Freudigen, trauert mit den Traurigen,“ sagt Paulus. (Röm. 12.) II. Die wahre Reue ist nicht ohne Liebe. „Reue aber“ will sagen, „die begangenen Sünden beweinen und zu Beweinendes nicht mehr begehen.“ Also ist die Freude hier auf Erden nicht ohne Trauer, trotzdem sie von der heiligen Liebe verursacht wird. III. Aus der Liebe folgt es, daß jemand „verlangt, aufgelöst zu werden und mit Christo zu sein.“ (Phil. 1.) Aus diesem Verlangen aber folgt im Menschen eine gewisse Trauer, nach Ps. 119.: „Weh' mir, daß meine Pilgerschaft verlängert ist.“ Auf der anderen Seite ist die Freude der heiligen Liebe die Freude an der Weisheit. Diese aber „hat keine Bitterkeit im Verkehr mit ihr.“ (Sap. 8.)
b) Ich antworte, aus der heiligen Liebe gehe eine doppelte Freude an Gott hervor. Die eine erstreckt sich auf das göttliche Gut, soweit dieses an sich betrachtet wird; und so kann mit dieser Freude keinerlei Trauer vermischt werden, weshalb der Apostel sagt: „Freuet euch am Herrn immer.“ (Phil. 4.) Die andere Freude am göttlichen Gute erstreckt sich darauf, daß wir daran teilnehmen. Da diese Teilnahme aber gehindert werden kann durch den Gegensatz zum göttlichen Gute, so kann damit Trauer verbunden sein; inwieweit jemand trauert über das, was in ihm selber oder im Nächsten, den wir ja wie uns selber lieben, der Teilnahme am göttlichen Gute widerstreitet.
c) I. Insoweit läßt die Sünde weinen, als im liebenden selber oder im Nächsten die Teilnahme am göttlichen Gute gehindert ist; sonst giebt es ja kein Übel für die Liebe. II. Die Sünden trennen uns von Gott. Deshalb weinen wir über die von uns selbst begangenen Sünden und über die Sünden der Nächsten. III. Das Elend dieses Lebens hindert die vollkommene Teilnahme am göttlichen Gute; also erstreckt sich diese Trauer auch auf ein Hindernis, das sich der Seligkeit entgegenstellt.
