Dritter Artikel. Die geistige Freude in uns kann angefüllt werden.
a) Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Denn: I. Je mehr wir Freude an Gott haben, desto größere Freude müßte in uns ihre Fülle finden. Wir können aber nie so uns freuen an Gott, wie Er es verdient. Unsere Freude kann also immer größer sein. Also wird sie nie wahrhaft voll. II. Die Freude der Seligen kann noch größer sein; denn der eine Selige freut sich mehr als der andere. Also wird die Freude an Gott in der Kreatur nie voll. III. Das erschöpfende Begreifen Gottes ist die Fülle der Kenntnis Gottes. Da also Gott von keiner Kreatur erschöpfend begriffen werden kann, so kann auch dementsprechend die Freude der Kreatur nie wahrhaft voll werden; denn das Begehren entspricht dem Erkennen. Auf der anderen Seite sagt der Herr (Joh. 15.): „daß meine Freude in euch sei und euere Freude voll werde.“
b) Ich antworte; die Fülle der Freude kann aufgefaßt werden: 1. von seiten des Gegenstandes, an dem man sich freut, daß nämlich man sich so viel daran freut, wie er es verdient daß man sich an selbem freue; und danach ist nur Gottes Freude an Sich selber vollkommen, denn allein seine Freude ist unendlich. 2. Von seiten des sich freuenden. Denn die Freude steht im Verhältnisse zum Verlangen, wie die Ruhe zur Bewegung. Die Ruhe ist nun vollkommen, wenn nichts von der Bewegung übrig bleibt. Wenn also nichts zu wünschen übrig bleibt; dann ist die Freude voll. So lange wir nun in der Welt sind, hört die Bewegung des Verlangens nicht auf; denn wir können Gott durch die Gnade noch näher kommen. Sind wir aber zur vollkommenen Seligkeit gelangt, so bleibt nichts mehr zu verlangen übrig; denn da wird das volle Genießen Gottes sein, wo der Mensch Alles erhalten wird an Gut, was er gewünscht hat, nach Ps. 102.: „Der da mit Gütern dein Verlangen anfüllt.“ Und somit ruht da das Verlangen; nicht nur jenes, womit wir nach Gott trachten, sondern auch alles andere Verlangen. Die Freude der Seligen wird sogar übervoll sein; denn mehr werden sie erhalten, als sie verlangt haben; da „in das Herz des Menschen es nicht hinaufgestiegen ist, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben.“ (2. Kor. 2.) Das ist in den Worten bei Luk. 6. ausgedrückt: „Ein gutes Maß und ein überfließendes werden sie in eueren Busen schütten.“ Weil aber keine Kreatur fähig ist, sich Gottes zu freuen, wie Er es verdient, so geht der Mensch vielmehr in diese Freude ein als daß die Freude in ihn einträte; weshalb Matth. 25. gesagt ist: „Gehe ein in die Freude deines Herrn.“
c) I. Das betrifft die Freude an Gott, wie Gott sie an Sich selbst hat. II. Jeder kommt in der Seligkeit zu jenem Abschlusse und zu jener Ruhe, die Gott in seiner Liebe vorherbestimmt hat; der eine zu einer geringeren, der andere zu einer größeren Nähe Gottes. Und so wird für niemanden etwas zu wünschen übrig bleiben; denn keiner wird mehr oder weniger an der Seligkeit teilnehmen als es seine Fähigkeit mit sich bringt, die ihm Gott verliehen. III. „Begreifen“ schließt ein die vollkommene Kenntnis von seiten des erkannten Gegenstandes, so daß da nichts mehr zu erkennen übrig bleibt. Von der Fülle der Kenntnis aber seitens des erkennenden sagt Paulus (Koloss. 1.): „Seid angefüllt mit der Anerkennung seines Willens in aller Weisheit und in jeglichem geistigen Verständnisse.“
