Zweiter Artikel. Die Anklage muß schriftlich niedergelegt werden.
a) Das scheint nicht immer zulässig. Denn: I. Die Schrift ist erfunden, um dem menschlichen Gedächtnisse aufzuhelfen mit Rücksicht auf das Vergangene. Die Anklage aber betrifft Gegenwärtiges. II. 2 Qq. 8. cap. Per scripta heißt es: „Kein abwesender kann anklagen oder angeklagt werden.“ Dazu aber scheint das Niederschreiben nützlich, daß abwesenden etwas bekannt gemacht werde. (Augut. 10. de Trin. 1.) Da nun nach dem kanonischen Rechte „keine Anklage vermittelst der Schrift angenommen werden soll,“ so erscheint ein Niederschreiben der Anklage unnütz. III. Im bloßen Anzeigen oder Berichten ist kein Niederschreiben erfordert; also auch nicht im öffentlichen Anklagen. Auf der anderen Seite heißt es 2 Qq. 8. cap. 1.: „Man soll die Personen der Ankläger nicht hören, wenn sie nicht ihre Anklage niedergeschrieben haben.“
b) Ich antworte; vor Gericht ist der Ankläger als der eine Teil zu betrachten und der schuldige als der andere Teil; der Richter steht zwischen beiden, um zu prüfen. In dieser Prüfung muß der Richter in möglichst zuverlässiger Weise vorgehen. Weil nun was gesprochen wird leicht dem Gedächtnisse entfällt, so wäre für den Richter, der ja das Urteil fällen muß, es nicht zuverlässig gewiß, was und wie ausgesagt worden, wenn dies nicht schriftlich festgestellt wäre. Und darum ist vernünftigerweise bestimmt, daß die Anklage und das Andere, was vor Gericht verhandelt wird, durch die Schrift festgelegt werde.
c) I. Einzelne Worte behalten ist wegen deren Menge und Mannigfaltigkeit schwer. Davon ist ein Zeichen, daß, wenn mehrere, welche die nämlichen Worte gehört haben, gefragt würden, was gesagt worden ist, sie in verschiedener Weise antworten würden; möchte auch nur geringe Zeit verflossen sein. Und da nun eine geringe Verschiedenheit den Sinn der Worte verändert, mag auch der Richter nach kurzer Zeit sein Urteil zu fällen haben, so ist es nützlich, um im Urteile Zuverlässigkeit zu erzielen, daß die Anklage schriftlich niedergelegt werde. II. Nicht bloß, um abwesenden etwas zu berichten, ist die Schrift nützlich; sondern auch wegen der verfließenden Zeit. Wenn nun der Kanon anordnet, man solle keine Anklage vermittelst der Schrift annehmen, so bezieht sich dies eben darauf, man solle nicht von einem abwesenden eine schriftliche Anklage entgegennehmen. Dies schließt aber nicht aus, daß des gegenwärtigen Anklage nicht schriftlich festgelegt werden soll. III. Der bloß anzeigende oder berichtende verpflichtet sich nicht zu irgend einer Beweisführung; er wird deshalb auch nicht bestraft, wenn er nicht beweisen kann. Deshalb ist da nichts Schriftliches notwendig; es genügt, daß dem Oberen das Geschehene gemeldet wird, damit dieser zur Besserung des Bruders vorgehe.
