Vierter Artikel. Kann der Ankläger seine Anklage nicht beweisen, so verdient er die gleiche Strafe, welche den angeklagten hätte treffen sollen.
a) Dies ist nicht so allgemein der Fall. Denn: I. Wer infolge eines berechtigten Irrtums die Anklage gestellt hat, wird vom Richter freigesprochen, nach 2. Qq. 3. Cap. Si quem poenituerit. II. Solche Strafe müßte ein gegen jemanden begangenes Unrecht zur Grundlage haben. Es kann sich aber nicht um ein Unrecht gegen die Person des angeklagten handeln; denn da könnte der Fürst diese Strafe nicht nachlassen; — und auch nicht um ein Unrecht am Gemeinbesten, denn da könnte der angeklagte den Ankläger nicht von der Strafe befreien. Also gebührt die erwähnte Strafe dem ungerechten Ankläger gar nicht. III. Nahum 1. heißt es: „Gott wird nicht zweimal verurteilen für das gleiche Vergehen.“ Wer aber seine Anklage nicht beweisen konnte, hat bereits die Strafe der Ehrlosigkeit, welche Strafe auch der Papst nicht nachlassen kann, nach Append. Grat. ad cap. Euphemium 2. Qq 1. 3., wo Gelasius sagt: „Wir können wohl durch die (Kirchen-) Buße die Seelen retten, die Ehrlosigkeit aber können wir nicht aufheben.“ Also ist keine weitere Strafe nötig. Auf der anderen Seite sagt Papst Hadrian I.: „Wer nicht beweist, was er vorwirft, soll die Strafe selber leiden, deren Ursache er für den anderen sein wollte.“
b) Ich antworte, der angeklagte sei der eine Teil in der gerichtlichen Verhandlung, der Ankläger der andere; zwischen beiden soll der Richter entscheiden, indem er die Gleichmäßigkeit der Gerechtigkeit wiederherstellt. tun gehört es zu dieser Gleichmäßigkeit, daß der eine den Schaden selber trage, den er für den anderen verursachen wollte, nach Exod. 21.: „Auge um Auge etc.“ Also ist es gerecht, daß jener, der durch seine Anklage jemanden in die Gefahr brachte, eine schwere Strafe zu leiden, nun eine ähnliche trage.
c) I. Im Bereiche der Gerechtigkeit gilt nicht bedingungslos das Recht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Es ist da ein Unterschied zwischen „freiwillig“ und „unfreiwillig“. Wer freiwillig verletzt, dem gebührt Strafe; wer unfreiwillig, dem gebührt Verzeihung. Erkennt also der Richter, die Lage sei verzeihlichem Irrtume entsprungen, so legt er keine Strafe auf. II. Der boshafte ungerechte Ankläger sündigt gegen die Person des Angeklagten und gegen das Gemeinwesen. Deshalb heißt es Deut. 19.: Und wenn sie nach sorgfältigster Untersuchung finden, der falsche Zeuge hätte Unwahres gesprochen gegen seinen Bruder, werden sie ihm vergelten wie er seinem Bruder thun wollte;“ das betrifft den gegen seinen Bruder begangenen Fehler. Und dann folgt: „Und so wirst du das Übel hinwegnehmen aus deiner Mitte, damit, die es hören, Furcht haben und nichts Ähnliches zu thun wagen;“ damit ist das dem Gemeinwesen angethaene Unrecht gekennzeichnet. In besonderer Weise aber geschieht durch die falsche Klage der Person des angeklagten ein Unrecht. Und deshalb kann der letztere, falls er unschuldig ist, das ihm angethaene Unrecht nachlassen; zumal die Anklage mehr aus leichtsinniger Unüberlegtheit wie aus Bosheit hervorgegangen ist. Wenn aber der Ankläger von der Anklage eines unshuldigen absteht auf Grund einer Übereinkunft mit dem Gegner, so thut er dem Gemeinwesen unrecht; und dieses kann der angeklagte nicht nachlassen, sondern nur der Fürst, dem die Sorge für das Gemeinbeste anvertraut ist. III. Das Gleiche zu erleiden, wie das was er den anderen leiden lassen wollte, gebührt dem falschen Ankläger, insoweit er dem Nächsten schaden wollte. Die Strafe der Ehrlosgkeit gebührt ihm wegen seiner Bosheit, infolge deren er den anderen verleumderisch verklagt hat. Und bisweilen löst der Fürst die erste Strafe; aber damit noch nicht zugleich die Ehrlosigkeit oder öffentliche Schande, soweit diese eine gerichtliche Strafe ist. In letzterem Sinne kann nun der Papst ebenfalls die Strafe der Ehrlosigkeit heben. Papst Gelasius aber spricht von der Ehrlosigkeit, welche mit der Thatsache selber gegeben ist; oder weil es nicht nützlich ist, diese Strafe zu heben; oder von Ehrlosigkeit, mit welcher der bürgerliche Richter bestraft hat.
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