Erster Artikel. Das Böse meiden und das Gute thun sind Teile der Gerechtigkeit.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Jede Tugend geht es an, das gute Werk zu thun und das böse zu meiden. Also nicht die Gerechtigkeit allein. II. Zu Ps. 33. (Diverte a malo) sagt die Glosse: „Jenes (das Böse meiden) vermeidet die Schuld; dies (das Gute thun) verdient die Palme.“ Das ist aber bei jeder Tugend der Fall. III. Das Böse meiden ist eingeschlossen im Thun des Guten. Also sind das keine besonderen Teile einer besonderen Tugend. Auf der anderen Seite führt Augustin 1. de corr. et Grat. 1. diese beiden Dinge als Teile der Gerechtigkeit an.
b) Ich antworte, falls vom Guten und Bösen im allgemeinen gesprochen wird, gehöre es jeder Tugend zu, das Gute zu thun und das Böse zu meiden. Danach sind diese beiden Dinge keine Teile einer besonderen Tugend; außer insoweit alle Tugend in gewissem Sinne Gerechtigkeit ist. Höchstens berücksichtigt in diesem Sinne die Gerechtigkeit eine besondere Seite des Guten, nämlich das, was dem menschlichen oder göttlichen Gesetze geschuldet ist. Als besondere Tugend nun richtet sich die Gerechtigkeit auf das Gute unter dem Gesichtspunkte des dem Nächsten Geschuldeten; und danach geht es die Gerechtigkeit an, das Gute zu thun, insoweit es dem Nächsten geschuldet ist, und das entgegengesetzte Böse als nachteilig für den Nächsten zu meiden. AIs allgemeine Tugend dagegen richtet sich die Gerechtigkeit darauf, das Gute zu thun mit Rücksicht auf Gott und das Gemeinbeste And das entgegengesetzte Übel zu meiden. Es werden die genannten Teile als integrale bezeichnet, weil Beides erfordert wird, um den gerechten Akt zu einem vollendet gerechten zu machen; wie die Steine erfordert werden, um zusammen ein Haus zu bilden. Denn der Gerechtigkeit gehört es an, die Gleichmäßigkeit herzustellen zwischen dem einen und dem anderen. Ein und derselben Kraft aber entspricht es, etwas herzustellen und das Hergestellte zu bewahren. Es stellt also jemand die rechtliche Gleichheit her, indem er dem Nächsten giebt was ihm gebührt; und er hält diese Gleichheit aufrecht, indem er vom Bösen abweicht, nämlich keinen Schaden dem Nächsten thut.
c) I. „Gut“ und „Böse“ wird hier genommen unter dem speciellen Gesichtspunkte, welcher der Gerechtigkeit eigen ist; und danach werden sie hier als Teile der Gerechtigkeit aufgeführt. Denn die anderen moralischen Tugenden beschäftigen sich mit den Leidenschaften, worin das Gute thun nichts Anderes ist als die richtige Mitte einhalten und abweichen von denr „zu viel“ oder „zu wenig“ als den Übeln; und so fällt dieses Beide, Böses meiden und Gutes thun, bei den anderen Tugenden in eins zusammen. Die Gerechtigkeit aber beschäftigt sich mit dem Thätigsein nach außen hin und den äußeren Dingen, wo es etwas Anderes ist, die Gleichmäßigkeit herstellen: und etwas Anderes, die hergestellte nicht verderben. II. Das Böse meiden als Teil der Gerechtigkeit ist keine reine Leugnung, nicht also bloß: nichts Böses thun; denn das verdient keine Palme, sondern meidet nur die Schuld. Vielmehr ist dies bei der Gerechtigkeit ein positiver Willensakt, der das Böse verschmäht, und das ist verdienstvoll; zumal wenn jemand bekämpft wird, damit er das Böse thue, und er widersteht. III. Das Gute thun ist der die Gerechtigkeit vollendende Akt, also der hauptsächliche Teil. Das Böse meiden ist der unvollkommenere Akt und wie der bestimmbare, materiale, ohne den der erste nicht sein kann.
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