Zweiter Artikel. Gesang ist nützlicherweise zu verbinden mit dem Lobpreise Gottes.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Nach Koloss. 3. „sollen wir uns selbst ermähnen und belehren in Psalmen und Liedern und geistigen Gesängen.“ Also nur geistige, d. h. innerliche Gesänge sollen wir gebrauchen im Lobe Gottes; nicht sinnliche, äußerliche. II. Hieronymus schreibt zu Ephes. 5. (Cantantes): „Es sollen hören die jungen Leute, hören sollen dies, denen das Amt des Psallierens obliegt in der Kirche; nicht mit der Stimme, im Herzen soll man lobsingen; nicht wie Theatersänger sollen unsere Gurgeln ergötzen, daß in der Kirche sich etwa laut machen Schauspiellieder und Schauspielgesänge. III. „Den Großen und Kleinen“ kommt es nach Apok. 19, 8. zu, „unseren Gott zu loben; allen Heiligen, die Gott fürchten.“ Die „Großen aber sollen in der Kirche nicht singen (registr. lib. 4. ep. 44.), wie Gregor sagt: „Mit gegenwärtigem Dekrete bestimmen wir, daß auf diesem bischöflichen Sitze (Roms) jene, die am Altar dienen, nicht singen sollen.“ Also ist der Gesang überhaupt für die Kirche nicht passend. IV. Im Alten Testamente ward Gott gelobt mit Musikinstrument: „mit Zither, im Psalterium mit zehn Saiten“ (Ps. 32.) und Gesang. Musikinstrumente aber sind verboten in der Kirche, damit diese nicht jüdische Gebräuche annehme; also ist dasselbe mit dem Gesänge der Fall. V. Das Lob des Herzens wiegt schwerer wie das des Mundes. Das Lob des Herzens aber wird gestört durch den Gesang; sowohl weil man auf diesen achtgeben muß, als auch weil die Worte nicht so genau gehört werden, wie wenn man sie einfach spricht. Also soll man nicht mit dem Lobe Gottes den Gesang verbinden. Auf der anderen Seite hat Ambrosius in der Kirche von Mailand den Kirchengesang eingerichtet, wie Augustin berichtet. (9. Conf. cap. 7)
b) Ich antworte; das mündliche Lob Gottes soll dazu dienen, das Herz des Menschen zu Gott zu ziehen. Was also nützlich ist, um diesen Zweck zu erreichen, kann mit dem Lobpreise Gottes verbunden werden. Nun werden gemäß den verschiedenen melodischen Weisen die Gemüter in verschiedene Verfassung gebracht, wie Aristoteles (8 Polit. 5, 6, 7.) sagt und Boëtius (prol. de musica). Also ist es eine heilsame Einrichtung, daß mit dem Lobpreise Gottes Gesang verbunden würde, um das Herz der schwächeren zur Andacht zu bewegen. Deshalb sagt Augustin (10. Conf. cap. 33.): ward dazu gebracht, die Gewohnheit des Singens in der Kirche zu billigen, damit durch die angenehm das Ohr berührenden Töne der schwächere Geist zur Liebe und Frömmigkeit sich erhebe;“ und von sich selbst sagt (9. Conf. cap. 6.): „Ich weinte bei Deinen heiligen Liedern und Gesängen, im Innersten bewegt durch die angenehmen, sanft dahinströmenden Melodien Deiner Kirche.“
c) I. Geistige Gesänge sind auch jene äußerlichen, hörbaren; insoweit dadurch die innere Andacht des Geistes erregt und vermehrt wird. II. Hieronymus tadelt nicht den Gesang, sondern die theatralische Sangweise, durch welche man nicht die Andacht erregen, sondern die Aufmerksamkeit auf die eigene Person ziehen will. Deshalb sagt Augustin (10 Conf. cap. 33.): „Wenn es sich trifft, daß mich der Gesang mehr bewegt wie die Sache, welcher er gewidmet ist, so bekenne ich, daß ich sündige und Strafe verdiene; dann wollte ich lieber den singenden nicht hören!“ III. Die Predigt und Belehrung stehen als Mittel, die Andacht zu erregen, höher wie der Gesang. Deshalb sollen die Diakone und kirchlichen Vorsteher, denen es obliegt zu predigen, nicht so viel mit Gesang sich befasssen. Darum fügt Gregor hinzu: „Die Gewohnheit ist in hohem Grade verwerflich, daß Diakone so viel mit ihrer Stimme und deren melodischer Ausbildung sich beschäftigen; sie sollen vor Allem dem Amte der Predigt und dem Beistande der armen sich widmen.“ IV. Nach Aristoteles (8 Polit. 6.) „soll man bei der Erziehung nicht sanftem Flötenspiele unterrichten oder in der Zither oder sonst in einem ähnlichen Instrument; man soll die Hörer vielmehr zu guten und sittlich brauchbaren Menschen machen.“ Derartige Instrumente nämlich bereiten mehr sinnliches Ergötzen, als daß durch sie eine ernste innere Verfassung geformt würde. Im Alten Testamente waren dergleichen Instrumente im Gebrauch; sowohl weil das Volk von harten Sitten und irdischen Sinnes war, als auch weil diese musikalischen Instrumente die Figur von geistigen Dingen vorstellten. V. Durch den Gesang, womit jemand sich darauf verlegt, bloß zu ergötzen, wird der Mensch von der Betrachtung dessen, was (welche Worte) gesungen wird, abgezogen. Wer aber aus Andacht singt, der giebt mehr acht auf die Worte, sowohl weil er länger dabei verweilt, als auch „weil alle die verschiedenen Regungen und Neigungen unseres Geistes eigene Weisen in der Stimme und im Gesänge haben, die ihnen entsprechen und durch deren Verwandtschaft sie erregt werden.“ (Aug. 10. Conf. cap. 33.) Und ebenso geht es mit den Hörern. Wenn auch von ihnen manche nicht verstehen, was gesungen wird, so verstehen sie doch, wozu gesungen wird; nämlich zum Lobe Gottes; — und das genügt zum anfachen der Andacht.
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