Vierter Artikel. Gott muß man in Allem gehorchen.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Matth. 9. gebietet der Herr den beiden geheilten blinden: „Sehet darauf, daß niemand es erfahre. Diese aber gingen fort und verbreiteten die Kunde von seiner Wunderkraft durch das ganze Land.“ Sie werden aber deshalb nicht getadelt. II. Gott hat manchmal etwas geboten, was gegen die Tugend verstieß; wie dem Abraham, daß er sein unschuldiges Kind töte; den Juden, daß sie den Ägyptern ihre Schätze stehlen; dem Osee, daß er eine ehebrecherische Frau nehme. Solches ist man aber nicht gehalten zu thun. III. Wer Gott gehorcht, muß Gottes Willen seinem Willen gleichförmig machen auch im gewollten Gegenstande. Dazu sind wir aber nicht mit Rücksicht auf alle Gegenstände verpflichtet; wie I., II. Kap. 19, Art. dargethan worden. Auf der anderen Seite heißt es Exod. 24.: „Alles, was Gott gesprochen hat, wollen wir thun und wollen gehorsam sein.“
b) Ich antworte; wer gehorcht, der wird bestimmt durch den Willen dessen, dem er gehorcht, wie die Dinge der Natur in Bewegung gesetzt werden durch die entsprechenden bewegenden Kräfte. Wie aber Gott erste Beweger ist für alle natürlichen Kräfte, so ist Er auch die erstbewegende Kraft aller Willenskräfte. Wie also kraft natürlicher Notwendigkeit alles Natürliche dem göttlichen Anstoße untersteht, so sind kraft einer gewissen natürlichen Gerechtigkeit alle Willenskräfte gehalten, dem göttlichen Befehle zu gehorchen.
c) I. Der Herr „wollte seinen Knechten ein Beispiel geben,“ so Gregor (10. moral. 14.), „daß sie wohl danach verlangen dürften, ihre Tugenden geheimzuhalten; aber trotzdem, damit andere durch das gute Beispiel Fortschritte machten, würden ihre Tugenden gegen ihren Willen bekannt werden.“ Also wollte der Herr durch sein Gebot die beiden geheilten nicht verpflichten. II. Gott thut nie etwas gegen die Natur; „denn das ist für jegliches Ding Natur, was Gott in ihm wirkt.“ (August. 20. cont. Faust. 3) Trotzdem aber thut Er manchmal etwas gegen den gewöhnlichen Lauf der Natur. Ebenso thut Gott nie etwas gegen die Tugend; denn in der Gleichförmigkeit mit seinem Willen und Gebote besteht eben die Tugend. Trotzdem gebietet Er manchmal etwas gegen die gewöhnliche Wirkungsweise der Tugend. Danach also war das Gebot an Abraham, seinen unschuldige Sohn zu töten, nicht gegen die Gerechtigkeit; denn Gott ist der Herr über Leben und Tod. Ebenso verhält es sich bei den Ägyptern mit dem genannten Diebstahl; denn Gott gehört Alles und Er giebt etwas wem Er will. Auch der Urheber der menschlichen Zeugung ist Gott und jene Art und Weise, einer Frau sich zu bedienen, ist die gebührende, die Er bestimmt; es ist da nichts gegen die Keuschheit. In allen diesen Fällen ist von einer Sünde keine Rede, die aus dem Gehorsam gegen Gott gefolgt wäre. III. Obgleich der Mensch nicht immer gehalten ist, zu wollen das, was Gott will, immer aber muß er wollen das, was Gott will, daß er wolle; und das wird ihm bekannt durch das göttliche Gebot.
