Erster Artikel. Das Martyrium ist ein Tugendakt.
a) Dagegen spricht: I. Jeder Tugendakt ist freiwillig. Das Martyrium aber ist manchmal dies nicht, wie z. B. beim Kindermord zu Bethlehem; worüber Hilarius zu Matth. 1. sagt: „Zur ewigen Herrlichkeit wurden sie, die Kinder, durch die Krone des Martyriums erhoben.“ Das Martyrium ist also kein Tugendwerk. II. Nichts Unerlaubtes ist Tugendakt. Manche aber haben sich getötet, unerlaubt, um das Martyrium zu vollenden. Denn Augustin (1. de civ. Dei 26.) sagt: „Manche heilige Frauen haben zur Zeit der Verfolgung, um den Verfolgern ihrer Schamhaftigkeit zu entgehen, sich in den Strom gestürzt und sind so gestorben; ihr Martyrtod aber wird in der katholischen Kirche festlich begangen.“ Also ist das Martyrtum kein Tugendwerk. III. Zu einem Tugendakt sich aus freien Stücken melden, ist lobenswert. Dem Martyrtod aber aus freien Stücken und ohne Not sich aussetzen, ist vermessen. Also ist er kein Tugendakt. Auf der anderen Seite heißt es Matth. 5.: „Selig, die da Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen; denn ihrer ist das Himmelreich.“
b) Ich antworte, zur Tugend gehöre es, daß jemand im Guten verharre, wie solches der Vernunft eigen ist. Das der Vernunft gemäße Gut aber ist vor Allem die Wahrheit, als der eigenste Gegenstand der Vernunft; und die Gerechtigkeit, als die eigenste Wirkung. Da nun kraft des Martyriums jemand feststeht in der Wahrheit und Gerechtigkeit gegen alle Angriffe der Verfolger, so ist offenbar das Martyrtum oder Martyrium ein Tugendwerk.
c) I. Manche sagen, in den unschuldigen Kindern sei der freie Gebrauch der Vernunft kraft eines Wunders dem Alter zuvorgekommen, so daß sie freiwillig gelitten hätten. Aber das findet sich nicht bestätigt durch die Schriftautorität. Also ist besser zu sagen, die Herrlichkeit des Martyrtodes, welche in anderen der eigene Wille verdient, hätten jene Kleinen erlangt durch die Gnade Gottes. Denn das Vergießen des eigenen Blutes für Christum vertritt die Taufe. Wie also in den getauften Kindern das Verdienst Christi kraft der Taufgnade die ewige Herrlichkeit bewirkt, so bewirkt in denen, die für Christum getötet werden, das Verdienst des Todes Christi die Erreichung der himmlischen Palme. Deshalb sagt Augustin, die unschuldigen Kinder anredend (66. de Divers.): „Jener soll zweifeln an euerer Krone im Leiden für Christum, der auch bei den anderen unschuldigen Kindern nicht anerkennt, daß ihnen durch die Taufe das Verdienst Christi nützt. Ihr hattet nicht das Alter, daß ihr an das zukünftige Leiden Christi glaubtet; aber einen Leib hattet ihr, in welchem ihr für Christum gelitten habt.“ II. Augustin fügt da hinzu: „Es ist möglich, daß die göttliche Autorität durch glaubwürdige Zeugnisse der Kirche die Überzeugung beigebracht hat, sie könne das Andenken solcher heiligen Frauen öffentlich ehren.“ III. Die Gebote haben immer zum Gegenstande Tugendakte. Manche Gebote aber wollen bloß auf die innere Bereitwilligkeit zum betreffenden Tugendakte hinwirken; daß nämlich der Mensch bereit sei, bei vorkommender Gelegenheit dies oder jenes zu thun. So auch verhält es sich mit den Tugendakten selber. Es giebt da immer Einiges, was nur in dem Sinne zur Tugend gehört, daß der Mensch bei vorkommender Gelegenheit bereit sei, gemäß der Vernunft zu handeln. Und das soll zumal beim Martyrium beachtet werden, welches besteht im geduldigen Ertragen von ungerechterweise zugefügten Leiden. Der Mensch nun darf keinem anderen Gelegenheit geben, unrecht zu thun; er soll aber geduldig es ertragen, wenn ein anderer von sich aus ungerechterweise Leid ihm zufügt.
