Erster Artikel. Die Prachtliebe ist eine Tugend.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Wer eine Tugend hat, besitzt alle auf Grund der Verknüpfung der Tugenden untereinander. „Es giebt aber manchen freigebigen,“ heißt es 2 Ethic. 4., „der nicht prachtliebend ist.“ II. Die moralische Tugend besteht in der rechten Mitte. Die Prachtliebe aber geht hinaus über die Freigebigkeit in der Größe des Gegenstandes. Das Große nun steht im Gegensatze zum Kleinen wie zwei äußerste Punkte einander entgegengesetzt sind. Da ist also die rechte Mitte das Gleiche. Und so ist die Prachtliebe nicht in der rechten Mitte. III. Keine Tugend geht gegen die Hinneigung der Natur an. „Der prachtliebende aber macht keine großen Ausgaben gegenüber der eigenen Person“ (4 Ethic 2.); was gegen die natürliche Neigung sich richtet, da gemäß derselben man in erster Liebe für sich sorgt. IV. Nach 6 Ethic. 4. ist „die Kunst die rechte Richtschnur für das äußere Werk.“ Die Prachtliebe aber hat zum Gegenstande äußere Werke. Also ist sie eine Kunst und keine Tugend. Auf der anderen Seite ist die menschliche Tugend eine Teilnahme oder Nachahmung göttlicher Kraft. Von Gott aber heißt es Ps. 67.: „Seine Pracht und seine Kraft in den Wolken.“ Also ist die Prachtliebe eine Tugend.
b) Ich antworte, „Tugend werde ausgesagt mit Rücksicht auf das Äußerste, bis wohin ein Vermögen reichen kann“ (1. de coelo); und zwar nicht ist gemeint das Äußerste im Mangel, sondern das Äußerste in der Größe und Kraft. Wirken also etwas Großartiges oder Prachtvolles, woher der Name der Prachtliebe kommt, gehört recht eigentlich zum Wesenscharakter der Tugend. Somit ist die Prachtliebe eine Tugend.
c) I. Jeder freigebige hat den Zustand der Prachtliebe in sich oder die nächste Vorbereitung dazu; wenn er auch nicht den Akt oder die Thätigkeit der Prachtliebe besitzt. II. Die Prachtliebe ist in der rechten Mitte mit Rücksicht auf die Regel der Vernunft, von der sie nicht abgeht. III. Die Prachtliebe will Großartiges machen. Was aber nur auf die eigene Person sich bezieht, das ist etwas Geringes im Vergleich zu dem, was den göttlichen Dingen gebührt und dem Gemeinwesen. Und sonach richtet der prachtliebende nicht seine Absicht auf die eigene Person; nicht als ob er nicht sein eigenes Gute d. h. seine Vollendung suchte, sondern weil er Großartiges wirken will. Aber eintretenden Falles ist der prachtliebende großartig, auch mit Rücksicht auf die eigene Person; wie bei dem, was nur einmal vorkommt, bei der Hochzeit z. B., oder bei dem, was bleibt, der Wohnung z. B. (l. c.). IV. „Der Kunst selber muß eine moralische Tugend entsprechen“ (6 Ethic. 5.); durch welche nämlich das Begehren hingeneigt wird, um die Kunst recht zu gebrauchen; und das ist die Prachtliebe.
