Erster Artikel. Die Abgestumpftheit ist eine Sünde.
a) Dem steht entgegen: I. „Abgestumpft“ werden genannt jene, welche die Ergötzungen des Tastsinnes nicht fühlen. Das ist aber lobenswert, nach Dan. 10.: „In jenen Tagen trauerte ich, Daniel, durch drei Wochen hindurch; Brot, was so sehr begehrt wird, habe ich nicht gegessen; Fleisch und Wein ging nicht ein in meinen Mund; mit Salböl habe ich mich nicht gesalbt.“ II. „Das Gute im Menschen besteht darin, gemäß der Vernunft zu sein.“ (Dionys. 4. de div. nom.) Aller Ergötzungen des Tastsinnes sich enthalten, fördert aber in hohem Grade den Menschen bei der Pflege dieses Gutes; denn Dan. 1. heißt es: „Der Herr gab ihnen,“ nämlich die bloß mit Kräutern sich genährt hatten, „Wissenschaft und Weisheit.“ III. „Durch das Fliehen vor Ergötzungen des Tastsinnes sündigen wir weniger,“ heißt es 2 Ethic. ult. Also ist die Abgestumpftheit, welche eben diese Ergötzungen flieht, keine Sünde. Auf der anderen Seite steht die Abgestumpftheit im Gegensatze zur Tugend der Mäßigkeit (2 Ethic. 7.); also ist sie eine Sünde.
b) Ich antworte, alles Jenes, was der Ordnung der Natur entgegengesetzt ist, sei fehlerhaft. Nun hat die Natur aber Ergötzen beigemischt den für das menschliche Leben notwendigen Thätigkeiten. Sonach verlangt es die natürliche Ordnung, daß der Mensch insoweit solcher Ergötzungen sich bediene als es dem menschlichen Wohle zuträglich ist; sei es für das Einzelwesen sei es für die Erhaltung der Gattung. Würde jemand bis zu dem Punkte also derartiges Ergötzen fliehen, daß er vernachlässigte das, was zur Behütung der Natur notwendig ist, so würde er sich zur natürlichen Ordnung in Gegensatz stellen und demgemäß sündigen. Und dies ist die Sünde der Abgestumpftheit. Um eines gewissen erlaubten Zweckes willen aber kann jemand lobenswerterweise sich dergleichen Ergötzungen enthalten; wie manche aus Gesundheitsrücksichten sich einzelner Arten von Speise und Trank oder des Geschlechtlichen enthalten; oder wie die Soldaten, infolge der Verpflichtungen ihres Standes oder Amtes; oder wie die Büßer, welche die Gesundheit der Seele wiedererlangen wollen oder wie schließlich solche, die geistiger Betrachtung und göttlichen Dingen sich widmen, sich den fleischlichen Wünschen entziehen. Dies Alles geschieht nach der Regel der Vernunft und entbehrt somit des Fehlers der Abgestumpftheit.
c) I. Daniel wollte sich durch jenes Enthalten geeignet machen für Betrachtung heiliger hoher Dinge; nicht als ob er sinnliche Ergötzungen als solche verabscheut hätte. Deshalb folgt gleich darauf jene Offenbarung von seiten Gottes, die ihm auf Grund dessen wurde. II. Weil der Mensch im Gebrauche seiner Vernunft nicht von den niederen Sinnesvermögen absehen kann; deshalb muß er seinen Körper aufrecht halten, damit er vernünftig thätig sein könne. Der Leib aber wird aufrecht erhalten eben vermittelst solcher ergötzlichen Thätigkeiten. Also kann es für den Menfchen nicht ein der Vernunft entsprechendes Gut sein, wenn er von allen solchen Ergötzlichkeiten sich enthält. Soweit jedoch der Mensch bei der Leistung der vernünftigen Thätigkeit mehr oder minder körperlicher Kraft bedarf, hat er mehr oder minder es notwendig, körperliches Ergötzen zu gebrauchen. Die Menschen also, die dies als Stand genommen haben, daß sie der Betrachtung göttlicher Dinge sich widmen und das geistige Gute wie durch geistige Zeugung auf andere fortpflanzen, enthalten sich lobwerterweise vieler körperlicher Ergötzungen, deren jene nicht lobwerterweise sich enthalten, denen es ihrem Stande nach obliegt, körperlich zu arbeiten und dem Körper nach zu zeugen. III. Nur wie die Notwendigkeit es erheischt, soll man diese körperlichen Ergötzungen suchen; das Überflüssige daran soll man vermeiden, damit man nicht sündige.
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