Dritter Artikel. Die besagten Tugenden sind Teile der Mäßigkeit.
a) Dem steht entgegen: I. Die Milde vermindert die Strafen, was Aristoteles (5 Ethic. 10.) der Billigkeit zuschreibt. Diese aber ist ein Teil der Gerechtigkeit. II. Die Mäßigkeit bezieht sich auf die Begierlichkeiten; die Sanftmut und Milde auf den Zorn und die Rache. Also sind das keine Teile der Mäßigkeit. III. Seneca (I. c.) sagt: „Dessen Vergnügen die Wildheit ist, den können wir als einen Thoren bezeichnen.“ Die Thorheit aber steht gegenüber der Klugheit; also gehört zu dieser auch die Milde und Sanftmut, welche den Zorn oder die Wildheit regeln sollen. Auf der anderenSeite„ist die Milde“ nach Seneca „die Mäßigung der Seele in der Gewalt sich zu rächen.“
b) Ich antworte, Teile werden einer Haupttugend zugeschrieben, insoweit sie diese in untergeordneten Gegenständen nachahmen gemäß der Art und Weise, welche das Lob der Haupttugend ausmacht. So besteht das Lob der Gerechtigkeit im rechten, gleichen Maße und daher kommt auch ihr Name; das Lob und der Name der Stärke kommt von einer gewissen Festigkeit in der Seele. Die Mäßigkeit nun besteht in einem gewissen Zügeln, soweit sie nämlich die heftigsten Begierden und Ergötzlichkeiten, die des Tastsinnes, regelt. Die Milde und Sanftmut aber bestehen ebenfalls in einem gewissen Zügeln; denn die Milde mindert die Strafen, die Sanftmut bindet den Zorn. Danach werden beide als Nebentugenden der Mäßigkeit betrachtet.
c) I. Soweit die Minderung der Strafen in einem besonderen Falle gemäß der Absicht des Gesetzgebers geschieht, wenn auch nicht nach ausdrücklichen Gesetzesworten, gehört dies zur Billigkeit. Etwas Anderes aber ist ein gewisses Maßhalten in der inneren Hinneigung dazu, Strafen zu verhängen, daß nämlich der Mensch nur mäßig der entsprechenden Gewalt sich bediene. Das ist Sache der Milde. Deshalb nennt Seneca die Milde „ein Maßhalten der Seele in der Macht, sich zu rächen.“ Dieses Maßhalten nun kommt von einer gewissen Lieblichkeit der Zuneigung her, wonach der Mensch davor zurückschreckt, andere zu betrüben. Und deshalb nannte Seneca die Milde an einer anderen Stelle „eine gewisse Lieblichkeit der Seele“; denn die Strenge scheint umgekehrt in jenem zu sein, der sich nicht scheut, andere zu betrüben. II. Die Nebentugenden werden im Verhältnisse zur Haupttugend vielmehr gemäß der Art und Weise, wie die betreffende Tugend vorgeht, erwogen, was eine gewisse bestimmende Form vorstellt; wie nach der Materie oder dem Gegenstande. Die Milde und Sanftmut aber kommen mit der Mäßigkeit in einer solchen Art und Weise überein; wenn auch nicht im Gegenstande. III. Thorheit wird überhaupt darin gefunden, daß die menschliche Seele abweicht von der gebührenden Versassung der menschlichen Gattungsnatur. Dies geschieht nun einmal gemäß der Vernunft, wenn jemand z. B. den Gebrauch der Vernunft verliert; dann mit Rücksicht auf die begehrende Kraft, wenn jemand alle Menschlichkeit verliert, wonach ein Mensch von Natur Freund des anderen ist. (8 Ethic. I.) Die erste Art Thorheit steht im Gegensatze zur Klugheit. Die zweite Art, insofern sich jemand an den Strafen anderer als Strafen ergötzt, ist der Milde entgegengesetzt.
