Erster Artikel. Gegenstand der Wißbegierde ist die Kenntnis.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Wißbegierde heißt so wegen des Begehrens nach Wissen. Aber nicht nur strebt der Mensch danach, Kenntnisse zu wissen, sondern er erstrebt auch vieles beliebige Andere. II. Wißbegierde steht der Neugierde entgegen. Die Neugierde aber kann sich auch auf Kleiderschmuck und Sonstiges erstrecken; nicht bloß auf Kenntnisse. Also ist auch der Gegensatz dazu, die Wißbegierde, nicht bloß auf einfache Kenntnisse gerichtet. III. Jerem. 4. heißt es: „Alle begehren und arbeiten um des Geizes willen.“ Der Geiz aber erstreckt sich nicht im eigentlichen Sinne auf Kenntnisse, sondern auf den Besitz von Reichtum. Also ist Wißbegierde, die auf dem Begehren beruht, nicht eigentlich auf Kenntnisse gerichtet. Auf der anderen Seite heißt es Prov. 27.: „Begehre nach Weisheit und arbeite um ihretwillen und erfreue mein Herz, mein Sohn, daß du antworten könnest denen, die Vorwürfe machen.“
b) Ich antworte, Wißbegierde bedeute die Zuwendung des Geistes zuvörderst zum Wissen, also zur Kenntnis; und dann zu dem, worin das Wissen den Menschen leitet. Die Tugenden aber haben ihrem Wesen nach jenen Gegenstand, wozu sie an erster Stelle sich wenden, wie die Stärke die Todesgefahren, die Mäßigkeit die Ergötzungen des Tastsinnes. Also ist der Gegenstand der Wißbegierde die Kenntnis.
c) I. In allem übrigen wird der Mensch geleitet durch die Kenntnis. II. Auf Grund seiner Neigung wird der Mensch zumal dahin gezogen, wonach sein Herz steht: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz,“ sagt der Herr. (Matth. 6.) Ünd weil der Mensch zu dem, was zur Pftege des Leibes dient, im höchsten Grade hingeneigt ist; so beschäftigt sich auch die Kenntnis vorzugsweise mit Allem, was zur Pflege des Leibes dient, daß nämlich der Mensch untersuche, wie seinem Leibe am besten geholfen werden kann. Danach sagt der Apostel (Röm. 13.): „Traget nicht so sehr um den Leib Sorge in eueren Verlangen.“ III. Der Geiz strebt nach Geldgewinn und dafür muß man eine gewisse Erfahrung haben in irdischen Dingen; und demgemäß sind wißbegierig jene, die nach Geld streben.
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