Fünfter Artikel. Es war zukömmlich, daß der Lohn Gottes nur eine menschliche Natur annahm und nicht die menschliche Natur in allen einzelnen Menschen.
a) Der Sohn Gottes hätte die menschliche Natur in allen einzelnen Menschen annehmen sollen. Denn: I. Was an erster Stelle und an und für sich angenommen worden ist, das ist die menschliche Natur an sich betrachtet. Was aber an und für sich betrachtet einer Natur zukommt, das kommt allen zu, welche in eben dieser Natur existieren. Also war es zukömmlich, daß die menschliche Natur angenommen würde in allen ihren Individuen. II. Die Menschwerdung ging aus der göttlichen Liebe hervor, nach Joh. 3.: „So hat Gott die Welt geliebt, daß Er seinen Eingeborenen Sohn dahingab.“ Die Liebe nun macht, daß sich jemand den Freunden mitteilt, soweit wie möglich. Möglich aber war es, daß der Sohn Gottes mehrere Naturen annahm. Also mußte Er die menschliche Natur in allen ihren Einzelwesen annehmen. III. Der weise Werkmeister macht auf möglichst kurzem Wege sein Werk. Wenn aber alle Menschen angenommen worden wären zur Gemeinschaft mit der natürlichen Gottes-Sohnschaft, so wäre dies kürzer gewesen, als daß nun viele durch einen zur Adoptivkindschaft geleitet werden. Auf der anderen Seite schreibt Damascenus (3. de orth. fide 11.): „Der Sohn Gottes nahm nicht die menschliche Natur als eine allgemeine in ihrer Gattung betrachtet; und nicht nahm Er an alle ihre Einzelwesen.“
b) Ich antworte, hätte der Sohn Gottes die menschliche Natur angenommen in allen ihren Einzelwesen, so würde 1. verschwunden sein die Vielheit der menschlichen Personen, die doch der menschlichen Natur durchaus entspricht; denn es wäre im genannten Falle nur eine annehmende Persongewesen (Art. 3.); — es würde 2. dies schädigen die Würde des fleischgewordenen Sohnes Gottes, der da ist „der Erstgeborene unter vielen Brüdern“ gemäß der menschlichen Natur, wie Er ist der Erstgeborene aller Kreatur gemäß der göttlichen Natur; denn es wären dann alle Menschen von gleicher Würde; — 3. ist dies zukömmlich daß, wie nur eine göttliche Person Fleisch angenommen hat, so sie auch nur eine Natur annehme, damit auf beiden Seiten Einheit gefunden würde.
c) I. „An und für sich“ kommt es der Natur zu, angenommen zu werden; weil dies nämlich nicht der Person zukommt, wie der göttlichen Natur es zukommt anzunehmen unter dem Gesichtspunkte der Person. Nicht aber kommt es der menschlichen Natur zu, angenommen zu werden, als ob dies zu den inneren Wesensprincipien derselben gehörte, wie z. B. es ihr zukommt, vernünftig zu sein. II. Die Liebe Gottes erscheint nicht nur im Menschwerden selber, sondern zumal in dem, was der Herr für andere Menschen in der menschlichen Natur gelitten hat, nach Röm. 5.: „Es empfiehlt Gott seine Liebe in uns, weil, da wir Feinde waren, Christus für uns gestorben ist,“ was nicht stattgefunden hätte, wenn Er alle Menschen angenommen hätte zur Einheit in der Person. III. Zur empfohlenen Kürze gehört, daß der weise Werkmeister nicht durch Vermittlung vieler Dinge bewirke, was er durch eines thun kann.
