Fünfter Artikel. Die Sakramente des Neuen Bundes haben ihre Kraft aus dem Leiden Christi.
a) Dem wird widersprochen: I. Die Kraft ist dazu in den Sakramenten, damit sie Gnade verursachen, wodurch geistigerweise die Seele lebt. Wie aber Augustin schreibt (tract. 19. in Joan.), „belebt das ewige Wort die Seelen, soweit dasselbe im Anfange bei Gott war; und es belebt die Körper, soweit es Fleischgeworden ist.“ Da also das Leiden dem Worte als dem fleischgewordenen angehört, so scheint das Leiden nicht die Kraft in den Sakramenten hervorbringen zu können. II. Die Kraft hängt nach Augustin (tract. 60. in Joan.) vom Glauben ab: „Das Wort vollendet die Sakramente, nicht weil es materiell ausgesprochen, sondern weil es geglaubt wird.“ Der Glaube aber richtet sich nicht allein auf das Leiden Christi, sondern auch auf die anderen Geheimnisse seiner heiligen Menschheit und zumal auf seine Gottheit. Also haben die Sakramente nicht in einem besonderen Sinne ihre Kraft vom Leiden Christi. III. Die Sakramente haben zum Zwecke die Rechtfertigung des Menschen, nach 1. Kor. 6.: „Ihr seid rein gewaschen, ihr seid gerechtfertigt worden.“ Die Rechtfertigung aber wird der Auferstehung zugeschrieben als besondere Wirkung, nach Röm. 4.: „Er ist auferstanden wegen euerer Rechtfertigung.“ Also haben die Sakramente vielmehr ihre Kraft von der Auferstehung Christi wie von seinem Leiden. Auf der anderen Seite sagt die Glosse zu Röm. 5. (in similitudinem): „Aus der Seite des am Kreuze schlafenden Christus flossen die Sakramente, durch welche die Kirche erlöst worden ist.“
b) Ich antworte, jedes Sakrament bringe Gnade in der Seele hervor in der Weise eines Werkzeuges. Nun giebt es ein Werkzeug, das mit dem Haupteinwirkenden verbunden ist, wie z. B. die Hand; und ein anderes besteht, das da getrennt ist vom Haupteinwirkenden wie z. B. der Stock. Durch das erstgenannte Werkzeug wird in Bewegung gesetzt das an zweiter Stelle angeführte, wie der Stock durch die Hand. Die Hauptursache also der Gnade ist Gott selber; wie ein damit verbundenes Werkzeug wirkt die heilige Menschheit Christi; wie ein getrenntes die Sakramente. Somit muß die Heilkraft von der Gottheit Christi sich ableiten vermittelst seiner heiligen Menschheit bis zu den Sakramenten selber. Nun hat die sakramentale Gnade vorzugsweise einen doppelten Zweck: Nämlich sie soll die Mängel der vergangenen Sünden Hinwegnehmen, die dem Thätigsein nach vorübergehen, der Schuld nach aber bleiben; und dann soll sie die Seele vollenden in dem, was zum Kulte Gottes gehört gemäß der Religion des christlichen Lebens. Christus aber hat uns zumal durch sein Leiden von Sünden befreit sowohl in der Weise des Verdienstes als auch in der Weise der Genugthuung, nach beiden Seiten hin in hinreichender Weise. Ähnlich auch hat Er durch sein Leiden begonnen den Ritus der christlichen Religion, indem Er „Sich selbst darbot als Opfergabe und Darbringung“ (Ephes. 5.). Also haben offenbar aus dem Leiden Christi die Sakramente der Kirche ihre Kraft, dessen Wirksamkeit gewissermaßen mit uns verbunden wird durch den Empfang der Sakramente. Und um dies zu bezeichnen, floß aus der Seite Christi, als Er am Kreuze hang, Blut und Wasser, von dem das Wasser sich auf die Taufe bezieht und das Blut auf die Eucharistie, die da unter den Sakramenten die hauptsächlichsten sind.
c) I. Das ewige Wort ist die haupteinwirkende Ursache für das Leben der Seele. Der Leib Christi wirkt da als Werkzeug; während er mit den an ihm vollzogenen Geheimnissen mit Rücksicht auf die Leiber auch wirkt in der Weise des Beispiels (Kap. 56.). III. Durch den Glauben wohnt Christus in uns, nach Ephes. 5. Und deshalb wird vermittelst des Glaubens mit uns die Kraft Christi verbunden. Die sündennachlassende Kraft Christi gehört aber in besonderem Sinne seinem Leiden an. Und sonach werden durch den Glauben an sein heiliges Leiden in besonderer Weise die Menschen von Sünden befreit, nach Röm. 3. : „Ihn hat Gott vorgestellt als Sühner durch den Glauben in seinem Blute.“ Die Kraft der Sakramente also, welche die Tilgung der Sünden zum Zwecke hat, rührt vorzugsweise aus dem Glauben an das Leiden Christi her. V. Die Rechtfertigung wird der Auferstehung zugeschrieben auf Grund des Zielpunktes, zu welchem hin sie gerichtet ist; der da ist die Neuheit des Lebens durch die Gnade. Dem Leiden wird sie zugeschrieben als dem Ausgangspunkte, soweit nämlich der Nachlaß der Schuld erwogen wird.
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