Vierter Artikel. Läßliche Sünden werden durch dieses Sakrament erlassen.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Diefes Sakrament ist „das Sakrament der Liebe“ (tract. 26. in Joan.). Die läßlichen Sünden aber sind der heiligen Liebe nicht entgegengesetzt. Da also etwas nur durch das ihm Entgegengesetzte hinweggenommen wird, so läßt dieses Sakrament die läßlichen Sünden nicht nach. II. Wird einmal eine läßliche Sünde durch dieses Sakrament hinweggenommen, dann aus dem gleichen Grunde alle. Aber dann wären wir „ohne Sünde und würden uns selbst verführen“ (1. Joh. 1, 8.). Keine läßliche Sünde also wird hinweggenommen durch dieses Sakrament. III. Was wechselseitigen Gegensatz einschließt, hindert sich wechselseitig. Die läßlichen Sünden aber sind kein Hindernis für das Empfangen dieses Sakramentes. Denn Augustin sagt (26. in Joan.): „Die Unschuld bringt mit zum Altare; die Sünden mögen tägliche sein, aber tödliche sollen es nicht sein.“ Auf der anderen Seite „tilgt dieses Sakrament die läßlichen Sünden, behütet vor Todsünden,“ sagt Innocenz III. (4. de myst. miss. 44.).
b) Ich antworte, in diesem Sakramente seien zwei Dinge zu erwägen: 1. das Sakrament selber und 2. die Wirkung oder den sachlichen Inhalt des Sakramentes, die res sacramenti. Nach der ersten Seite hin tilgt es die läßlichen Sünden. Denn es wird genommen unter der Gestalt von nährender Speise. Wie aber die körperliche Nahrung wiederersetzt das, was täglich man verliert durch den wirkenden Einfluß der natürlichen Wärme; so ersetzt diese geistige Nahrung das, was täglich die Seele verliert durch die in läßlichen Sünden sich äußernde Hitze der Begierlichkeit, welche vermindert die heilige Liebe. Darum sagt Ambrosius (5. de sacr. 4.): „Dieses Brot nimmt man täglich als Heilmittel gegen die tägliche Schwäche.“ Und auch nach der zweitgenannten Seite hin tilgt dieses Sakrament die läßlichen Sünden. Denn seine eigenste Wirkung ist die heilige Liebe und zwar nicht mit Rücksicht auf den Zustand allein, sondern auch mit Rücksicht auf die Bethätigung; insofern dieses Sakrament anregt zu Akten der Liebe, durch welche die läßlichen Sünden hinweggenommen werden.
c) I. Die läßlichen Sünden sind nicht im Gegensatze zum Zustande der Liebe, wohl aber zur Liebesglut in der Bethätigung. Und zu dieser regt die heilige Eucharistie an, auf Grund dessen sie die läßlichen Sünden tilgt. II. Jene Stelle ist nicht so zu verstehen, als ob der Mensch keinen Augenblick, ohne läßliche Sünde sein könne; sondern in dem Sinne, daß die heiligen dieses Leben nicht zubringen, ohne zuweilen eine läßliche Sünde zu begehen. III. Größer ist die Kraft der heiligen Liebe, welche in diesem Sakramente enthalten ist, wie die Kraft der läßlichen Sünden. Denn die heilige Liebe tilgt durch ihre Bethätigung, durch ihren Akt, die läßlichen Sünden, die sonach nicht ganz und gar hindern können den Akt der heiligen Liebe. Und dasselbe gilt von diesem Sakramente.
