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Soviel nun bis hieher. Über die Teile der Tugend aber, darüber, welchen [Teil] man höher schätzen und eifriger als die übrigen pflegen soll, welchen an zweiter Stelle und in welcher Reihenfolge die übrigen im einzelnen, kann nicht gesprochen werden. Denn sie sind einander gleichwertig, sie führen durcheinander ihre Jünger zur höchsten Stufe. Die Einfachheit führt zum Gehorsam, der Gehorsam zum Glauben, dieser zur Hoffnung, die Hoffnung zur Dienstfertigkeit und diese zur Demut. Auf diese folgt die Sanftmut, sie führt zur Freude, die Freude zur Liebe, die Liebe zum Gebet. So führen sie, miteinander verbunden und ihren Jünger verbindend, ihn bis zum Gipfelpunkte seiner Sehnsucht. Ebenso führt umgekehrt die Sünde durch die ihr eigenen Teile ihre Anhänger zur äußersten Bosheit. Ihr müßt jedoch im Gebete mehr beharrlich sein1. Denn dieses ist sozusagen der Reigenführer im Chor der Tugenden. Durch dieses erbitten wir auch die übrigen Tugenden von Gott. Ebenso steht der, welcher beharrlich im Gebete ist, durch eine geheimnisvolle Heiligung, durch eine Art geistiger Kraft und durch eine unaussprechliche Seelenstimmung in Gemeinschaft und Verbindung mit Gott. Empfängt er von hier aus den Geist zum Führer und Bundesgenossen, so wird er zur Liebe des Herrn entflammt und glüht vor Sehnsucht, er bekommt am Gebete nicht satt, sondern wird immerfort zur Liebe des Guten entbrannt und labt mit Wonne seine Seele, wie es heißt: „Wer mich kostet, hungert noch; und wer von mir trinkt, dürstet noch“2. Und an einer anderen Stelle: „Du gibst Freude in mein Herz“3. Und der Herr sagt: „Das Himmelreich ist inwendig in euch“4. Was ist S. 381 das für ein Reich, von dem er sagt, daß es inwendig in uns sei? Es ist sicherlich die Freude, die von oben durch den Geist in die Seele kommt. Denn diese ist ihm gewissermaßen ein Vorzeichen und Unterpfand der ewigen Freude, welche die Seelen der Heiligen in der zukünftigen Welt genießen. Es tröstet uns darum der Herr durch die Kraft des Geistes in all unserer Trübsal, um uns zu retten und von den geistigen Gütern und seinen Gnadengaben uns mitzuteilen5. Denn es heißt: „Er tröstet uns in all unserer Trübsal6, auf daß wir diejenigen trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind“7. Und: „Mein Herz und mein Leib jubeln entgegen dem lebendigen Gott“8. Und: „Wie an Mark und Fett ersättige sich meine Seele“9. Alle diese Stellen zeigen die Freude und den Trost aus dem Geiste in unklaren Bildern an.
