5.
S. 407 Dabei entging er den Angriffen im Handgemenge, da er an Nichts von den Gegnern festgehalten werden konnte. Denn er war Denen überlegen, welche die Güter einzogen, indem er dieselben selbst eingezogen hatte wegen der Hoffnung des Reiches.1 Er war von der Furcht der Verbannung befreit, indem er sagte, daß es ein Vaterland der Menschen, das Paradies, gebe, die ganze Erde aber als eine gemeinsame Verbannung der Natur ansah. Wann aber hätte Der, welcher täglich starb und beständig durch freiwillige Abtödtung sich aufzehrte, den Tod gefürchtet, der ihm von den Feinden gedroht wurde? Er hielt es ja sogar für ein Unglück, daß er nicht oft die Martyrer in ihren Kämpfen für die Wahrheit nachahmen könne, da die Natur nur einem Tode unterworfen sei. Und als ihn einst ein Statthalter mit der Drohung schrecken wollte, er wolle ihm die Leber aus seinen Eingeweiden reissen lassen, sagte er lachend und die rohe Drohung verspottend: Ich werde dir für die Ausführung deines Vorhabens sehr dankbar sein. Denn nicht wenig quält es mich, daß die Leber sich in meinen Eingeweiden befindet. Wenn du sie also deiner Drohung gemäß herausnehmen läßt, so wirst du mich von Dem befreien, was meinen Körper belästigt.
Was vermindert es nun seinen Ruhm in Gott, daß er später als andere Heilige auf die Welt kam, so daß deßhalb die Festfeier dieses Heiligen geringer erscheinen sollte, als die Feste der übrigen Heiligen? Denn untersuche und vergleiche sein Leben, wenn es beliebt, mit dem Leben irgend eines der früheren Heiligen! Geliebt wurde Gott von Paulus. Das ist nun die höchste der Tugenden, die der Liebe nämlich. Von ihr stammt jeder Glaube, jede Hoffnung und die Erwartung der Beharrlichkeit und die S. 408 Unveränderlichkeit in allem Guten und der Vorzug in jeder geistigen Gnadengabe. Aber wollen wir erforschen, wie groß das Maß der Liebe Gottes in Paulus war! Du wirst gewiß sagen, daß er aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele und seinem ganzen Gemüthe Gott liebte. Denn Dieß hat das Gesetz als die äusserste Grenze der Liebe zu Gott festgesetzt.2 Wer also sein ganzes Herz und seine ganze Seele und sein ganzes Gemüth Gott darbringt und sich sonst zu Nichts von Dem, was in diesem Leben geschätzt ist, hinneigt, hat den höchsten Grad der Liebe erreicht. Wenn nun Einer zeigen kann, daß das Leben unseres Lehrers zu Etwas, was in dieser Welt geschätzt wird, hinneigte, wie zu Reichthum, Macht, Begierde nach eitlem Ruhm, denn die niedrigeren Lüste können bei ihm wohl nicht einmal mit Anstand genannt werden, so muß man sagen, wenn man ihn so Etwas schätzen sieht, daß das Maß der Liebe zu Gott von jener Seite geringer erscheine, von welcher wir finden, daß er Etwas hievon schätzte, indem sein Begehrungsvermögen von Gott zum Materiellen abirrte. Wenn er aber von allen diesen und ähnlichen Dingen ein abgesagter Feind war und zuerst aus seinem eigenen Leben die leidenschaftliche Neigung zu diesen Dingen verbannte, hierauf das öffentliche Leben durch das belehrende Wort und das persönliche Beispiel reinigte, so ist es doch offenbar, daß er das größte Maß der Liebe Gottes in sich trug, das die Natur zu fassen vermochte. Denn wie könnte, wer Gott aus ganzer Seele, ganzem Herzen und ganzem Gemüthe liebt, noch ein höheres Maß der Liebe erreichen, da es keinen Platz mehr hat? Wenn wir also einen höchsten Grad der vollkommenen Liebe kennen gelernt haben, nämlich die Hingabe an Gott aus ganzem Herzen, Paulus und Basilius aber Gott liebten, indem sie aus ganzem Herzen sich ihm hingaben, so dürfte man, wenn man zu sagen wagt, daß Beide ein und dasselbe Maß der Liebe besaßen, von der S. 409 Wahrheit nicht abirren. Und es sagt der Apostel, daß die Liebe die größte aller Tugenden sei,3 und das erhabene Evangelium stimmt ihm bei.4 Der Apostel nämlich sagt, sie habe einen höheren Werth als Prophetengabe und Erkenntniß, sei stärker als der Glaube, ausdauernder als die Hoffnung und verharre immer im nämlichen Zustande, ohne sie sei jede Thätigkeit im Guten unnütz.5 Der Herr aber zeigt, indem er das ganze Gesetz und alle Geheimnisse der Propheten von dieser Gnadengabe abhängig macht, auch seinerseits, daß die Liebe höher als Alles stehe.6 Wenn er also in der höchsten Tugend, welche die andern in sich begreift, hinter dem großen Paulus nicht zurückbleibt, so wird es gewiß deutlich an den Tag treten, daß er auch in allen übrigen, denen die Liebe vorangehe und die aus ihr entspringen, ihm nicht nachstehe. Denn wie Der, welcher an der menschlichen Natur Antheil nimmt, alle Eigenschaften der Natur an sich trägt, in gleicher Weise besitzt auch Der, welcher es in seiner Person zur Vollkommenheit der Liebe gebracht hat, mit dem Urbild der Tugenden alle Gattungen der Tugenden, die in dieser mit inbegriffen sind. Denn mag es der Glaube sein, der uns rettet, oder mögen wir durch die Hoffnung gerettet werden, oder empfangen wir die Gnade durch die Geduld: „die Liebe glaubt Alles, hofft Alles und duldet Alles,“ wie der Apostel sagt.7 Und alles Übrige, um nicht bei der Aufzählung des Einzelnen zu verweilen, ist ein Gewächs aus der Wurzel der Liebe, Alles, was unter dem Namen der Tugend geschätzt wird, so daß Der, welcher diese hat, nichts Weiteres bedarf. Indem der große Basilius diese besaß, hatte er in ihr jede Tugend. Wenn er aber alle besaß, so konnte ihm keine mangeln.
Aber man wird vielleicht sagen, daß Paulus den dritten Himmel sah und ins Paradies entzückt [eher: „entrückt“ statt „entzückt“?] wurde und geheime S. 410 Worte hörte, die einem Menschen zu reden nicht erlaubt ist.8 Aber auch er erhielt diese Gnade nicht erwiesener Maßen in diesem Fleische. Denn er verbirgt die Ungewißheit nicht, indem er sagt: „Sei es im Fleische, ich weiß es nicht, sei es ausser dem Fleische, ich weiß es nicht, Gott weiß es.“ Auch von Basilius könnte man kühn sagen, daß er so Etwas zwar nicht im Leibe sah, aber in der unkörperlichen geistigen Betrachtung ihm Nichts ungeschaut entging. Zeugniß hiefür sind seine eigenen Worte, die er mündlich aussprach, und die er in seinen Schriften hinterließ. Denn indem er von Jerusalem nach Illyrikum eine Rundreise machte, predigte er Allen, die er auf diesem Wege antraf, das Wort des Evangeliums, und sein Wort und seine Predigt drang fast über die ganze Erde und wurde von Allen in gleichem Maße wie das Wort des Paulus geschätzt. Es soll das Übrige übergangen werden, worin das Leben des Einen mit dem des Andern übereinstimmt, wie der Eine der Welt gekreuzigt war, dem Andern die Welt.9 Der Eine tödtete den Körper ab, der Andere vollendete in der Schwäche seine Kraft.10 Christus war Beiden das Leben, und in gleicher Weise Beiden der Tod Gewinn,11 und aufgelöst und beim Herrn zu sein12 galt ihnen höher als das dem Irrthum ausgesetzte Leben.
