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Oder wollen wir unsern Lehrer auch mit Johannes vergleichen? Aber da der göttliche Ausspruch Zeugniß gibt, daß Dieser den Vorrang habe, indem er unter den von einem Weibe Gebornen sogar vor einem Propheten Etwas voraus habe, so wäre es Wahnsinn und Gottlosigkeit zugleich, einen Andern mit einem solchen Leben in Vergleich zu setzen. Doch auch nur hinter einem Manne von solcher Größe und Beschaffenheit zu kommen, erscheint als die höchste Glückseligkeit. Aber wir wollen in folgender Weise die Sache S. 411 erwägen. Johannes trug keine weichlichen Kleider und war kein von den Winden hin und her bewegtes Schilfrohr.1 Er liebte die Wüste mehr als die bewohnten Gegenden und hielt sich wieder in bewohnten Gegenden auf. Wird nun wohl Jemand gegen unsere Behauptung sich erheben, wenn wir der Wahrheit gemäß auch hiefür unserm Lehrer Zeugniß geben werden, daß er hierin dem großen Johannes nicht nachstand? Wer weiß nicht, daß er einer weichlichen und üppigen Lebensweise sich abgeneigt zeigte, indem er in Allem vor dem Angenehmen nach dem Starken und Männlichen strebte, von der Sonne sich brennen ließ, sich der Kälte aussetzte, in Fasten und Enthaltsamkeit seinen Leib übte, in Städten wie in der Einsamkeit lebte, ohne daß seine Tugend durch das Zusammenleben Schaden litt, und die Einöden zu Städten machte? Denn weder machte ihn der Umgang mit der Menge vom strengen und zurückgezogenen Leben abwendig, noch vermochte er, wenn er an einen ganz entlegenen Ort sich zurückzog, von Denen sich zu befreien, welche des Gewinnes wegen ihn umgaben. Und so wurde bei ihm, wie bei dem Täufer, die Wüste durch das Gedränge der Herbeiströmenden zu einer Stadt. Daß er aber nicht ein Rohr war, das mit Leichtigkeit sich zu entgegengesetzten Ansichten krümmen ließ, beweist seine Unbeugsamkeit in allen Entschließungen seines Lebens. Er entschloß sich Anfangs zur Besitzlosigkeit. Der Entschluß war wie ein unerschütterlicher Fels. Er verlangte Gott in Reinigkeit zu nahen. Einem Berge glich dieses Verlangen, nicht einem Rohre. Denn niemals beugte er sich vor den Winden der Versuchungen. Die Festigkeit seiner Liebe gegen Gott vermochte nur der Apostel durch seine Worte auszudrücken, daß weder das Leben noch der Tod, weder die Gegenwart noch die Zukunft noch sonst irgend ein Geschöpf im Stande sei, sein Herz von der Liebe Gottes zu trennen.2
S. 412 So war er auch in allem Übrigen, was er in Bezug auf die Tugend beschlossen hatte, keineswegs einem Rohre ähnlich oder in seiner Gesinnung veränderlich, sondern durchgehends hielt sein Leben unveränderlich am Guten fest. Johannes ist freimüthig gegen Herodes, Dieser gegen Valens. Stellen wir aber den Rang dieser Männer einander gegenüber! Der erste hatte in Folge einer Einsetzung durch die Römer die Herrschaft über einen kleinen Theil von Palästina erlangt, die Herrschaft des zweiten dagegen war beinahe auf den ganzen Lauf der Sonne ausgedehnt und erstreckte sich von den Grenzen Persiens bis zu den Britanniern und den äussersten Grenzen des Oceans. Und der Zweck der Freimüthigkeit gegen Herodes war, daß er das Gesetz wegen eines gewissen Weibes nicht verletze, sondern seine Lust bezähme, die durch das Gesetz verboten sei. Worin bestand aber die Freimüthigkeit des Lehrers gegen Valens? Daß er den Glauben unversehrt und unbefleckt lasse, dessen Verletzung zum Fluche für den ganzen Erdkreis würde. Es stelle nun der gerechte Richter die Macht der Macht gegenüber und den Zweck dieser Freimüthigkeit jener Freimüthigkeit. Dort nämlich war die Schuld auf die Person des Herodes beschränkt, hier war die Verletzung des Glaubens eine Ungerechtigkeit gegen das ganze Menschengeschlecht. Jener übt die Freimüthigkeit bis in den Tod. Diesem wird ein Ziel der Freimüthigkeit durch die Verbannung gesetzt,3 da der Kaiser Dieß statt des Todesurtheils über ihn verhängt hatte. Von Johannes glaubte man nach seinem Tode noch, daß er lebe,4 und bei Basilius wurde selbst von seinen Feinden das Urtheil der Verbannung aufgehoben, da er sich durch die Drohung im Widerstand nicht erweichen ließ.
S. 413 Sollen wir es wagen, auch zum erhabenen Elias in der Rede uns emporzuschwingen und zu zeigen, daß unser Lehrer durch sein Leben auch seiner Gnade gleich geworden sei? Aber das Fahren auf feurigem Wagen und das Lenken der feurigen Pferde und das Hinübergehen zu der höheren himmlischen Heimath möge Niemand von der menschlichen Natur verlangen. Denn auch Jener konnte sich nicht, so fern er innerhalb der Grenzen der Natur blieb, im Feuer unbeschädigt erhalten, da er durch göttliche Kraft seine schwerfällige und irdische Natur in eine aufwärts strebende und leichte umschuf. Auch möge Niemand verlangen, daß er sein Wort gleichsam zum Schlüssel des himmlischen Beistandes machte, indem er ihn öffnete, wann er wollte, und nach Belieben ihn wieder verschloß, wenn ihm Dieß zu thun besser schien. Aber auch daß er lange Zeit ohne Speise aushielt und durch den bloßen Genuß jenes in Asche gebackenen Gerstenbrodes vierzig Tage lang seine Kraft ungeschwächt bewahrte,5 auch das soll übergangen werden als Etwas, was die menschliche Kraft übersteigt. Denn der menschlichen Natur ist es unmöglich, Das nachzuahmen, was die Natur übersteigt. Es soll nebenbei geschwiegen werden von jenem kleinen Mehlkruge und dem Ölgefäße,6 welche beide in Darreichung der Nahrung dem Bedürfniß genügten und auf die ganze Zeit der Hungersnoth, auf drei Jahre und sechs Monate ihre Wohlthat ausdehnten. Denn die Wunder der himmlischen Thätigkeit haben in ihren Werken eine besondere Kraft. Und nicht kann man mit Fug und Recht solche Wunderthaten auf Rechnung der menschlichen Natur setzen.
