2.
S. 320 Die Trunkenheit, jener selbstgewählte Dämon, der sich mit Wollust auf die Seelen stürzt, die Trunkenheit, die Mutter des Lasters, die Feindin der Tugend, macht den Tapferen feige, den Sittsamen unzüchtig, sie kennt keine Gerechtigkeit und ertötet die Vernunft. Wie das Wasser das Feuer bekämpft, so löscht Übermaß des Weines die Besinnung aus. Deshalb zögerte ich auch, etwas gegen die Trunkenheit zu sagen, nicht als ob das Übel klein oder der Beachtung nicht wert wäre, sondern weil ich mir vom Reden keine Frucht verspreche. Denn der Betrunkene ist ja besinnungslos und umnebelt; wer ihm Vorwürfe macht, redet umsonst; er hört ja nicht. Mit wem sollen wir dann reden, wenn der, welcher die Mahnung nötig hat, das Gesagte nicht hört? Der Mäßige und Nüchterne braucht ja die nachhelfende Rede nicht, weil er von dieser Leidenschaft frei ist. Was soll ich also in dieser Lage tun, wenn das Reden unnütz, das Schweigen aber unmöglich ist? Sollen wir von diesem Anliegen ganz absehen? Aber diese Gleichgültigkeit wäre gefährlich. Aber was soll ich gegen Trunkene predigen? Wir rufen ja doch nur in tote Ohren hinein. Doch wie bei ansteckenden Krankheiten die Ärzte die Gesunden durch vorbeugende Mittel sicherstellen, die von der Krankheit bereits Erfaßten aber nicht behandeln, so mag auch euch zur Hälfte die Rede von Nutzen sein und den von dieser Leidenschaft Freien ein Schutzmittel an die Hand geben, ohne den von der Leidenschaft Beherrschten Befreiung und Heilung zu bringen.
