6.
Wielange noch Wein? Wielange noch Trunkenheit? Du läufst Gefahr, statt eines Menschen Kot zu werden. So ganz bist du mit Wein vermengt und mit ihm faul geworden, riechst infolge tagtäglicher Berauschung nach Wein, und zwar nach verdorbenem, wie die unbrauchbarsten der Geschirre. Diesen gilt die Klage des Isaias: „Wehe denen, die früh aufstehen, dem Likera nachzugehen und zu trinken bis zum Abend. Der Wein wird sie verbrennen. Sie trinken den Wein bei Zithern und Flötenspiel; aber auf die Werke des Herrn sehen sie nicht, und die Werke seiner Hände betrachten sie nicht1.“ „Likera“ pflegen die Hebräer jedes berauschende Getränk zu nennen. Diejenigen also, die mit Anbruch des Tages sich nach Trinkgelagen umsehen, Weinhandlungen und Wirtshäuser aufsuchen, einander zum Trinken einladen und ihre ganze Sorge und Aufmerksamkeit auf diese Dinge richten, diese werden vom Propheten beklagt, weil sie keine Zeit übrig haben, die Wunderwerke Gottes zu betrachten. Ihre Augen haben keine Zeit, zum Himmel emporzuschauen, seine Schönheit kennen zu lernen und die volle Harmonie in der Kreatur zu betrachten, um aus der schönen Welt den Schöpfer zu erkennen. Vielmehr schmücken sie alsbald mit Tagesanbruch ihre Zechräume mit buntfarbigen Tapeten und blumenreichen Decken, sputen und bemühen sich im Herbeischaffen der Trinkgeschirre und stellen ihre Kühl- und Mischkrüge und Becher wie bei einem Aufzuge oder einer Festversammlung auf; die vielen verschiedenen Gefäße sollen sie die Sättigung vergessen lassen und der Wechsel und Tausch der Becher ihnen die nötige Muße zum Trunke schaffen. Sie haben auch ihre Zechmeister, Obermundschenke und Tafelaufseher; und man ist auf Ordnung in der Unordnung und auf gute Verteilung bei der ordnungswidrigen Sache bedacht. Auf diese Weise wollen sie die Trunkenheit wie eine S. 326 Königin mit einer Dienerschaft umstellen, um so deren Schande möglichst zu verdecken, wie ja ähnlich auch weltliche Herrschaften mit Trabanten ihr Ansehen erhöhen. Dazu kommen Kränze, Blumen, Salben und Rauchwerk und tausend andere äußerliche Ergötzlichkeiten, die für die verlorenen Menschen die Schlingen noch vermehren. Wenn dann das Trinken sich in die Länge zieht, dann kommt es zum Wetttrinken, gibt es gegenseitig Zank und Streit um den Ruhm, die andern an Trunkenheit zu übertreffen. Der Kampfleiter ist hier der Teufel, und der Siegespreis ist die Sünde. Wer den meisten ungemischten Wein trinkt, trägt über die anderen den Sieg davon. Wahrhaftig: „Ihr Ruhm besteht in ihrer Schande2.“ Sie wetteifern miteinander und strafen sich selbst. Welche Rede vermag die Schändlichkeit dieser Vorgänge hinreichend zu schildern? Alles ist voll Unsinn, alles voll Verwirrung. Die Besiegten sind berauscht; die Sieger sind berauscht; die Dienerschaft spottet. Die Hand versagt den Dienst; der Mund nimmt nicht mehr auf; der Magen kehrt sich um, und doch läßt das Übel nicht nach. Der elende Leib, seiner natürlichen Kraft beraubt, öffnet alle Schleusen, da er der Gewalt der Unmäßigkeit nicht standhalten kann.
