3.
O Mensch, wodurch unterscheidest du dich von den Tieren? Nicht durch das Geschenk der Vernunft, das du von deinem Schöpfer empfangen, und wodurch du Herr und Gebieter der ganzen Schöpfung wardst? Wer sich also mit der Trunkenheit die Besinnung raubt, „der stellt sich den unvernünftigen Tieren gleich und ist ihnen ähnlich1.“ Ja, ich möchte sagen, daß die Berauschten unvernünftiger sind als Vieh: alle Vierfüßler, auch die Bestien, haben ihren geregelten Trieb zur Begattung. Diejenigen aber, die im Banne der S. 321 Trunkenheit stehen, und deren Leib mit unnatürlicher Hitze gesättigt ist, werden jeden Augenblick und jede Stunde zu unlautern und schamlosen Umarmungen und Lüsten gereizt. Aber nicht bloß dieser Hang macht sie unvernünftig, sondern die Verwirrung der Sinne verrät, daß der Trunkene noch tiefer steht als jedes Tier. Welches Tier sieht und hört so schlecht wie der Trunkene? Erkennen sie denn noch ihre vertrautesten Freunde? Laufen sie nicht auf Fremde zu, als wären es ihre Verwandten? Springen sie nicht oft über Schatten, als wären es Gräber und Spalten? In ihren Ohren tost und brauset es wie das Rauschen des schäumenden Meeres. Den Boden sehen sie in die Höhe sich heben und die Berge im Kreise sich drehen. Bald lachen sie in einem fort, bald klagen und weinen sie untröstlich. Bald sind sie kühn und unerschrocken, bald furchtsam und feige. Ihr Schlaf ist schwer, tief, fast erstickend und wirklich dem Tode ähnlich; ihr Wachen aber ist noch besinnungsloser als der Schlaf. Ein Traum ist ihnen das Leben; obschon sie keine Kleider, noch auf morgen zu essen haben, spielen sie in ihrem Rausche den König, kommandieren Heere, bauen Städte, verteilen Geld. Mit solchen Hirngespinsten und Täuschungen erfüllt der erhitzende Wein ihre Herzen. Wieder andere geraten in entgegengesetzte Stimmungen: Sie geben alle Hoffnung auf, sind niedergeschlagen, traurig, weinerlich, furchtsam und ängstlich. So erregt derselbe Wein je nach der Körperkonstitution in den Seelen verschiedene Stimmungen. Diejenigen, bei denen er das Blut in Wallung bringt und an die Oberfläche treibt, macht er heiter, freundlich, lustig. Deren Blut er aber zusammenzieht und verdickt, und denen er beschwerlich wird, diese versetzt er in die entgegengesetzte Stimmung. Was soll ich den Haufen der ungemütlichen Wirkungen aufzählen, das mürrische Benehmen, die Reizbarkeit, die Unzufriedenheit mit seinem Lose, die Empfindlichkeit, das Schreien, das Toben, den Hang zu jeglichem Betrug, den unbändigen Jähzorn?
Ps. 48, 13 [Hebr. Ps. 49, 13]. ↩
