7.
Schaut die gläubige, wahrheitsliebende Seele auf die den Gerechten hinterlegten ewigen Güter und auf die unaussprechliche Wohltat der dereinstigen göttlichen Gnadenheimsuchung, so hält sie sich, ihren Eifer, ihre Arbeit und Mühe im Vergleich zu den unaussprechlichen Geistesverheißungen für unwürdig. Dieser, [der sich für unwürdig hält,] ist „der Arme im Geiste“1. Ihn preist der Herr selig. Dieser ist der, der „hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit“2. Dieser ist „zerknirschten Herzens“3. Die solche Gesinnung, solchen Eifer, solche Mühe und Tugendsehnsucht bezeigen und darin bis zum Ende verharren, werden in Wahrheit das Leben und das ewige Reich erlangen können. Darum soll sich keiner der Brüder über den Bruder erheben und, von der Bosheit verführt, zur [törichten] Meinung hinreißen lassen: Siehe, ich besitze die geistige Gnadengabe. Denn solches zu denken ziemt sich nicht für Christen. Du weißt ja nicht, was der morgige Tag jenem (= dem Bruder) bringt4. Du weißt nicht, welches sein Ende und welches das deinige ist. Nein, ein jeder soll S. 254 auf sich selbst sehen, beständig über sein eigenes Gewissen Gericht halten und das Werk seines Herzens prüfen, welchen Eifer und Kampf nämlich sein Geist für Gott entfalte. Er soll auf das Vollendungsziel der Freiheit, Leidenschaftslosigkeit und Geistesruhe schauen, unaufhörlich und unverdrossen laufen, ohne auf eine Gnadengabe oder ein Gerechtigkeitswerk zu bauen. Preis und Anbetung sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste in Ewigkeit. Amen. 30. Homilie.
