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Nicht der Leib also kann gottnachbildlich sein, sondern nur unsere Seele. Sie ist frei und streift und schweift mit ihren Gedanken und Plänen hierhin und dorthin, indem sie alles mit geistigem Auge schaut. Sieh, eben befinden wir uns in Italien und stellen uns in Gedanken vor, was gen Osten oder Westen zu liegen scheint, denken uns unter die Bewohner Persiens versetzt, stellen uns die Einwohner Afrikas vor Augen, folgen unseren Bekannten, die etwa dieser Erdteil aufnimmt, auf dem Wege, weilen bei ihnen in der Fremde, nahen uns ihnen in der Ferne, reden mit ihnen in der Abwesenheit; auch selbst Verstorbene rufen wir zum Zwiegespräch zurück, umpfangen und halten sie fest, als wären sie am Leben, und legen ihnen die Funktionen und Gepflogenheiten des Lebens bei. Nur die Seele ist sonach Gottes Nachbild, die nicht nach der Kraft des Leibes, sondern des Geistes einzuschätzen ist; deren Auge Abwesende schaut, deren Blick nach überseeischen Ländern trägt, sie spähend durchstreift und entlegene Striche durchforscht; die ihre Gedanken im Nu hierhin und dorthin nach allen Enden des Erdkreises und durch die verborgenen Räume der Welt schweifen läßt; die Gott vereint, Christo anhängend, zur Unterwelt hinabund emporsteigt, frei im Himmel wandelt. So höre denn den Apostel versichern:„Unser Wandel aber ist im Himmel“.Und die Seele soll nicht S. 268 gottnachbildlich sein, der Gott immerdar einwohnt? Doch vernimm es, daß sie Gottes Nachbild ist. Es beteuert nämlich der Apostel: „Wir alle also schauen mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit Gottes und werden umgestaltet in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit wie vom Geiste des Herrn“. n
