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So erkenne dich denn, herrliche Seele: das Bild Gottes bist du! Erkenne dich, o Mensch; der Ruhm Gottes bist du! Vernimm, inwiefern sein Ruhm. Es spricht der Prophet: „ Wunderbar ward dein Wissen an mir“, d.i. in meinem geschöpflichen Ich erstrahlt noch wunderbarer deine Größe, in der Einsicht des Menschen findet deine Weisheit ihr Lob. Da ich mein Ich betrachte, das Du selbst in seinen verborgensten Gedanken und innersten Regungen durchdringst, treten mir die Geheimnisse Deines Wissens vor die Seele.
S. 273 So erkenne dich denn, o Mensch, [erkenne] wie groß du bist, und „hab acht auf dich“, daß du nicht gegebenen Augenblicks in die Fallstricke des Teufels gerätst, und eine Beute seiner Nachstellungen wirst! Daß du nicht gegebenen Falles jenem unheilvollen Löwen in den Rachen gerätst, der „brüllt und umhergeht, suchend, wen er verschlinge!“ „Hab acht auf dich“, daß du genau merkest, was zu dir eingeht, was aus dir herauskommt! Nicht die Speise meine ich, die verzehrt und ausgesondert wird, sondern die Gedanken meine ich, von den Worten spreche ich. Nicht gehe zu dir ein die Begierde nach fremden Ehebette, nicht schleiche sie sich ein in deinen Geist! Nicht fahnde dein Auge nach der Schönheit eines vorübergehenden Weibes, nicht schließe das Herz sie ein! Nicht knüpfe deine Rede der Verführungskünste Netz, nicht übe sie hinterlistig Verrat am Nächsten, nicht begeifere sie ihn mit Hohn und Spott! Zum Jäger, nicht zum Räuber hat dich Gott gemacht, da er sprach: „Sieh, ich sende viele Jäger“: Jäger, nicht nach Missetat, sondern nach Loslösung davon, Jäger nicht nach Schuld, sondern nach Gnade. Ein Fischer Christi bist du, an den das Wort ergeht: „Von jetzt an wirst die Menschen lebendig machen“. So wirf aus dein Netz, so wirf aus deiner Augen, so wirf aus deiner Worte Netz, daß du kein Fischlein in der Flut zerdrückest, sondern es heraufziehest. „Hab acht auf dich!“ So stehe, daß du nicht fallest! So laufe, daß du den Preis erringest. So sollst du kämpfen, daß du oftmals den entscheidenden Sieg davontragest, weil nur dem rechtmäßigen Kampfe die Siegeskrone gebührt! Ein Krieger bist du: spähe den Feind aus, daß er nicht nächtlich dich überfalle! Ein Ringkämpfer bist du: halte dich dem Gegner näher mit den Händen, S. 274 als mit dem Gesichte, daß er nicht dein Auge treffe! Frei bleibe der Blick, fest und sicher der Schritt, daß du ihn, falls er angreift, niederstreckest, falls er weicht in deine Gewalt bekommest, mit achtsamem Auge der Verwundung entrinnest, in kühnem Waffengang sie abschlagest! Wirst du dennoch verwundet, „hab acht auf dich“; eile zum Arzt, sieh dich nach dem Heilmittel der Buße um! „Hab acht auf dich“, denn du trägst Fleisch, das rasch zu Fall kommt! Es suche dich heim der gute Seelenarzt, das Gotteswort! Es träufle dir die Aussprüche des Herrn wie heilsamen Balsam! „Hab acht auf dich“, daß das Wort, das in deinem Herzen verborgen ruht, nicht in Unheil umschlägt, denn es gleicht dann schleichendem Gifte und senkt ansteckende Todeskeime ein! „Hab acht auf dich“, daß du Gott nicht vergessest, der dich erschaffen hat, und daß du seinen Namen nicht umsonst empfangest!^
