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„Hab denn acht auf dich“, Armer, „hab acht“, Reicher! Denn Armut sowohl wie Reichtum haben ihre Gefahren. Darum betet der Weise: „Reichtum und Armut gib mir nicht!“ Und er führt auch den Grund an, warum er so flehte: Es genügt für den Menschen zu haben, was er bedarf; denn der Reichtum bläht wie den Bauch mit Speisen so den Geist mit Sorgen und Ängsten auf. Darum sein Flehen, es möge ihm nur zugedacht werden, was nötig sei und genügend, „damit ich nicht, wie er sich ausdrückt, übersättigt zum Lügner werde und S. 277 spreche: wer sieht mich? oder in Armut geraten Diebstahl begehe und schwöre beim Namen des Herrn“. Fliehen oder meiden soll man sonach die Gefahren der Welt: der Arme soll nicht verzagen, der Vermögliche sich nicht überheben, denn es steht geschrieben: Wenn du die Heiden [Kanaaniter] vertrieben hast und ihr Land zu nutzen anfängst, dann sprich nicht: „meine Kraft und meine Hand hat mir diesen Besitz verschafft“. So hält's der, welcher sein Vermögen seinem Verdienste zuschreibt und darum, als hätte er Siegel und Brief darauf, seinen Irrtum nicht einsieht, sondern am langen Seil die Sünde nachschleppt. Würde er`s nämlich glauben, daß er seinen Vermögenszuwachs nur glücklichem Zufall oder schändlicher Übervorteilung verdankt, bliebe ihm kein Grund, sich auf Dinge etwas zugute zu tun, die entweder eitle Mühe und kein Lob, oder aber schamlose Habgier bedeuten, die der Genußsucht keine Schranke zu setzen weiß.
