6.
Aber nun fragt auch euch, ihr Christen, ob ein Opfer von euch wohlgefällig sein kann, von euch, die ihr jede Scholle, jeden Stein, jeden Strauch auf den Besitzungen eurer Nachbarn kennt, nur von den allenthalben rauchenden Heiligtümern auf euren eigenen Gütern nichts wißt, die ihr, wenn man die Wahrheit sagen will, schützt, indem ihr tut, als wüßtet ihr nichts davon.1 Der Beweis hierfür liegt nahe. Ihr prozessiert ja täglich, damit euch niemand das Tempelrecht streitig mache.2 Aber nicht allein Christen dieser Art mißfallen Gott: auch diejenigen, die auf den Gräberfluren sich umhertreiben; die vor bereits Verwesungsgeruch an sich tragenden Leichnamen Totenmahlzeiten abhalten; die in ihrer Gier nach Schwelgerei im Essen und Trinken an verrufenen Orten, mit S. 182 Flaschen und Kelchen sich Märtyrer schaffen;3 die abergläubisch auf bestimmte Tage achten, die aus weißen Tagen schwarze ägyptische machen;4 die Augurien anstellen und in den gewaltsam aufgerissenen Eingeweiden von Tieren über ihr Heil Aufschluß suchen; die das eheliche Band drückend machen, die eheliche Liebe mit Füßen treten und, um heimlichen schändlichen Genuß vor der Öffentlichkeit zu verdecken, untergeordneten Personen die Verwaltung des Hauswesens anvertrauen, nicht aus Vertrauensseligkeit, sondern durch Hang zur Sinnlichkeit hierzu bestimmt;5 die öffentliche Dirnen sich mit Gewalt gefügig machen und damit deutlich zeigen, daß sie noch erbärmlicher sind als jene; die da im Zorn aufbrausen; die da knirschen in Streitigkeiten; die Verleumdungen ersinnen; die Arme, Witwen, Waisen, um ihre letzte Habe bringen; die, ohne sich um die Gefolgschaft Gottes zu kümmern, göttliche Geheimnisse mit weltlichen Fabeleien vermischen und dabei auch andere S. 183 zu ihrem Unglück davon abziehen. 6 Möge jeder zusehen, wie er die Opfergabe genieße oder darbringe! Ist es frevelhaft, Gott unwürdig Opfer darzubringen, so ist es todbringend, unwürdig davon zu genießen. Denn so spricht die Schrift im Buche Levitikus: „Jeder, der rein ist, soll das Opferfleisch genießen. Eine Seele aber, die von dem Fleisch des Opfers des Heiles ißt, das für Gott bestimmt ist, über der aber Unreinheit liegt, eine solche Seele wird zugrunde gehen aus ihrem Volk“7 Und wie wir, meine Brüder, uns vor solchen Dingen hüten müssen, so müssen wir andrerseits das, was gut, was rein, was aufrichtig, was fromm, was heilig ist, erstreben, — so wie ihr es tut:8 „damit die Menschen, wenn sie eure guten Werke sehen, euren Vater preisen, der im Himmel ist".9 So sorget denn, ihr meine geliebtesten Sprößlinge, für solche Opfer, die der Heilige Geist gerne darbringt, die der Vater annimmt und über deren Annahme der Sohn, der unser Meister ist, sich rühmt durch den, der gebenedeit ist in alle Ewigkeit! S. 184
Der Satz setzt ein Verbot der heidnischen Tempel und Opfer voraus. Ein solches erließ schon Kaiser Konstantius 354: Placuit enim omnibus locis atque urbibus claudi protinus templa et accessu vetito omnibus licentiam delinquendi perditis abnegari. Volumus etiam eunetos sacrifieiis abstinere (Codex Justinianus I, 11, 1). Er erneuerte das Verbot 356: Poena capitis subiugari praeeipimus eos, quos operam sacrifieiis dare vel colere simulacra constiterit (Codex Theodosianus XVI, 10, 6). Die Regierung Julians hatte die Verbote außer Kraft gesetzt; und die Toleranz, die Jovian und Valentinian gegen die Heiden übten, bestimmte wohl auch Christen zu der von Zeno gerügten Nachsicht. Vgl. Gaudentius Sermo XIII: An existimatis, quod deum diligat tepidus ac negligens Christianus, qui idola in possessionibus suis coli permittit, qui fanum daemonis et aram diaboli stare in contumeliam dei patitur? ↩
Das Ius templorum hat noch mehrere Jahrzehnte Bedeutung gehabt. Das Gesetz des Kaisers Theodosius vom 8. November 392 bestimmte, daß Orte, auf denen heidnische Rauchopfer stattgefunden haben, in den Besitz des Fiskus über gehen, wenn sie im Besitz des Opfernden waren. Hat aber das Opfer in öffentlichen Tempeln oder im Haus oder Grundbesitz eines andern ohne Wissen des Besitzers stattgefunden, so hat der Opfernde 25 Pfund Gold zu zahlen; Zustimmung trifft die gleiche Buße (Codex Theodosianus XVI 10, 12). Diese Gesetzgebung bildet wohl den Abschluß der Rechtsentwicklung in dieser Frage, die schon zur Zeit Zenos brennend war. ↩
Die Sitte, an den Memorien der Märtyrer und an den Gräbern der Verstorbenen Mahlfeiern abzuhalten, stellt eine Christianisierung der heidnischen Parentalien dar. Sie war vielverbreitet, zeigte dazu Entartungen aller Art. Mehrfach haben Kirchenväter dagegen gekämpft, besonders Augustinus. Vgl. namentlich J. Zellinger, Augustin und die Volksfrömmigkeit (München 1933) S. 65—69. ↩
Vgl. zu der heidnischen Sitte der Tagwählerei: Augustinus, Epist. ad Gal. expositio 34; Vulgatissimus est enim error gentilium iste, ut vel in agendis rebus vel in expectandis eventis vitae ac negotiorum suorum ab astrologis et Chaldaeis notatos dies et menses et annos et tempora observent. Im nächsten Kapitel spricht er besonders von den „ägyptischen Tagen". Vgl. dazu Thesaurus Linguae latinae I. Band, Leipzig 1905, S. 963 sub verbo; W. Wreszinski, Tagewählerei im alten Ägypten, in: Archiv für Religionswissenschaft 16 (Leipzig 1913), S. 68—100. Zum Ganzen J. Zellinger (Anm. 1) S. 20—22. ↩
Männer stellen weibliche Personen zur Verwaltung des Hauswesens ein, um mit ihnen in Mißachtung der ihrer Gattin schuldigen Treue Unzucht zu treiben. ↩
Die Stelle: Qui profanis fabulis neglecta Dei secta alios non bene avocantes divina sacramenta contaminant ist wohl kaum, wie die Ballerini vermuten, auf den Besuch heidnischer Schauspiele zu beziehen, sondern auf die Vermischung der christlichen Glaubensgeheimnisse (divina sacramenta) mit heidnischen profanen Lehren ohne Rücksicht auf die (in der Taufe gelobte) Zugehörigkeit an Gott (neglecta dei secta). Vgl. 2 Tim. 4, 4: a veritate quidem auditum avertent, ad fabu-las autem convertentur. ↩
Lev. 7, 20. 21. ↩
Nach der Lesart der Balierini: quae bona...sunt, sunt sicut facitis, amplectenda. Die Lesart Giuliaris: sunt facilius amplectenda ist weder genügend handschriftlich begründet noch dem Sinn entsprechend. ↩
Matth. 5, 16. ↩
