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Das größte Glück für den Christgläubigen ist es, das Wesen des Glaubens zu kennen. Seine Eigenart und seine Größe besteht darin, daß er keinem Menschen von einem andern übermittelt wird, sondern aus seinem eigenen Willen hervorgeht. Ist er, wie manche glauben, vom Munde eines Lehrers abhängig, so wird er zweifellos untergehen, sobald der Lehrer seine Tätigkeit einstellt oder anders lehrt. Und weiter: Die Übermittlung des Gesetzes (Glaubensinhaltes) wird wertlos sein, wenn nicht schon vorher der Glaube vorhanden ist, der ehrfurchtsvoll die Übermittlung aufnimmt, der, einerseits sich selbst, andrerseits ihr vertrauend, ihr den Erfolg sichert: denn einem, der nicht Glaubenswillen besitzt, kann sie die Frucht, wie sie der Gläubige gewinnt, nicht vermitteln. So hat ja schließlich auch Abraham Gott durch seinen Glauben gefallen1 ohne das Gesetz und das jüdische Volk ihm mißfallen durch seinen Unglauben S. 58 mit dem Besitz des Gesetzes. So kann kein Zweifel sein: das Gesetz kann nicht bestehen ohne den Glauben; der Glaube aber kann bestehen ohne das Gesetz. Die unzählbare Menge, die in ihrer schlichten Einfalt ganz glücklich dahinlebt, stünde immer noch unter der Herrschaft des Todes, wenn nur diejenigen, die das Gesetz kennen, die Rechtfertigung verdienten. Nun steht geschrieben: „Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig;"2 und: „Wir stehen nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“;3 und sie drängt uns, Gott zu lieben und ihm allein zu dienen im Geheimnis der einmal gläubig angenommenen geeinten Dreifaltigkeit, nicht etwa auf Grund von Beweisführung, nicht auf Grund von Notwendigkeit, sondern aus freiem Willen heraus. Darum ist es meines Erachtens ganz klar, daß der schlichte Einfältige besser ist als der zu sehr Klügelnde. Der Einfältige schenkt jedem Worte Gottes schlechthin Glauben; der Klügelnde aber, durch allzu große Weisheit ein Tor geworden, bringt durch seine eitlen Grübeleien sich selbst in Verwirrung.
