5.
Wenn nun dem so ist, warum zerstörst du das Gesetz durch das Gesetz? Warum entthronst du den Glauben unter der Vorspiegelung von Glauben? Warum suchst du sogar die Quelle der Gottheit mit philosophischen Beweisen auszuschöpfen? Wenn du deine Kenntnis des Gesetzes zeigen willst, gut: helle die Dunkelheiten in den Lesungen auf! Lege dar, daß das Gesetz nicht mit sich in Widerspruch steht! Lege dar, daß alles, was es kündigt, glaubwürdig ist! Denn wenn du nur einen Teil desselben anerkennst, den andern ablehnst: wie kannst du für das Gesetz Glauben verlangen, das du doch als unglaubwürdig darstellst, indem du nicht alles glaubst? Wenn du aber den Glauben des Geistes dein eigen nennst, dann laß auch eine Kraft desselben schauen! Dann befiehl den Bergen, daß sie sich versetzen.1 Dann soll die Wildheit der Löwen sich legen und ihr Rachen dich bewundernd liebkosen.2 Unter deinen Schritten soll die schwellende Meereswoge unbeweglich wie Marmor zum festen S. 64 Boden werden. 3 Durch die wogenden Fluten des brandenden Meeres soll ein Fisch als Nachen getreulich deinen Glauben tragen.4 Halte den Lauf der Sonne und des Mondes mit dem Zügel deines Gebetes zurück von dem Kerker, der sie beim Untergang aufnimmt!5 Das lodernde Feuer des glühenden Ofens soll seine Natur besiegt sehen und selbst durch dich und mit dir Kühlung empfinden.6 Rufe die Seelen der Verstorbenen wieder in die frühere Heimat des Lebens zurück und belebe sie mit deinem Hauch! Verscheuche von den Leidenden die Krankheiten, heile ihre Gebrechen! Freue dich in Anfechtungen und Martern für den Namen des Herrn! Wenn Hartes kommt, zeige, daß du einen Glauben besitzest, dem Senfkörnlein vergleichbar!7 Wenn du dich aber gar in brennendem Ehrgeiz nach weltlichem Ruhm erkühnst, unter dem Schlagwort von Gesetz und Glauben die Ewigkeit der Geburt des Sohnes und des Heiligen Geistes aus Gott, die nach dem Rechte, nach dem er aus sich selbst ist, unvergleichlich und unbegreiflich ist, mit Beweisgründen in den Kreis deiner Untersuchung zu ziehen, sie zu prüfen, abzumessen und abzugrenzen, so wage ich darauf nichts zu sagen; denn es dürfte besser sein, unwissend zu scheinen, als gottlos zu sein. Aber ich habe doch etwas, was sich für mich gegen dich erhebt: Das Gesetz selbst, durch das du mich, der ich vielleicht weniger erfahren bin, zur Sünde reizest, wendet sich mit Kraft gegen dich, widerlegt dich, besiegt dich. Denn Salomon spricht: „Trachte nicht nach dem, was zu hoch für dich ist, und suche nicht zu ergründen, was über deine Kräfte geht. Nur auf das, S. 65 was dir Gott geboten, sei allezeit bedacht; dann wirst du bei vielen seiner Werke nicht vorwitzig sein. Denn viele hat ihr Dünkel schon zu Fall gebracht und in Eitelkeit ihren Sinn gefangen gehalten.“8 Und ähnlich schreibt Paulus für einen Grübler: „O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegriffen sind seine Gerichte, wie unerforschlich seine Wege! Denn wer hat den Gedanken des Herrn erkannt?„9 Und du willst sein Wesen ergründen? Und noch an einer anderen Stelle hat er sich über das, worum sich's handelt, klar ausgesprochen, wenn er Timotheus unterrichtet mit den Worten: „Ich habe dich gemahnt, einigen einzuschärfen, nicht eine verkehrte Lehre anzunehmen und nicht auf Fabeln und endlose Geschlechtsregister zu achten, die mehr zu Streitfragen als zur wahren Erkenntnis Gottes führen, die im Glauben besteht. Denn das Endziel des Gebotes ist die Liebe, die aus reinem Herzen, einem guten Gewissen und einfältigem Glauben kommt.“10
Vgl. Matth. 17,19; 1 Kor. 13,2 ↩
Vermutlich Anspielung auf Daniel (Dan. 6,22.23; Hebr. 11,13) und vielleicht auf die passio S. Theclae c. 28; 33; vgl. Passio s. Theclae virginis, ed. O. v. Gebhardt (Leipzig 1902), 77; 90. — Vgl. zum Folgenden auch Trakt. II 2, 3. ↩
Vermutlich Anspielung auf Petrus, Matth. 14, 28 - 31. ↩
In Verwendung der Sage von Arion Anspielung auf Jonas, Jon. 2. ↩
Anspielung auf Josue, Jos. 10, 12-13. ↩
Anspielung auf die drei Jünglinge Dan. 3, 23-94. ↩
Matth. 17,19; Luk. 17,6 ↩
Sir. 3,22. 26. ↩
Röm. 11,33-34 ↩
1 Tim. 1,3-5 ↩
