2. Über die Bekehrung des Rhetors Victorinus.
So ging ich denn zu Simplicianus, der an dem nunmehrigen Bischof Ambrosius beim Empfang deiner Gnade Vaterstelle vertreten hatte und den dieser auch wahrhaft wie einen Vater liebte. Ich erzählte ihm meine Irrungen und Wirrungen; danach erwähnte ich, daß ich einige Bücher der Platoniker gelesen hätte, die Victorinus1, einst Rhetor in Rom, der, wie ich gehört, als S. 162 Christ gestorben war, ins Lateinische übersetzt hatte. Da wünschte er mir Glück, daß ich nicht auf die Schriften anderer Philosophen verfallen sei, die voll Trug und Täuschung „gemäß den Satzungen der Welt“2 seien, während jene überall auf Gott und sein Wort hinwiesen. Um mich schließlich zur Demut Christi zu ermuntern, die den Weisen verborgen, den Kindern aber offenbar ist, gedachte er des Victorinus selbst, mit dem er bei seinem Aufenthalte in Rom in vertrauter Freundschaft gelebt hatte; und was er mir von ihm erzählte, will ich nicht verschweigen, da deine große Gnade, die ich vor dir bekennen muß, hell an ihm hervorleuchtet. Er war ein hochgelehrter Greis, bewandert in allen freien Wissenschaften, da er ja so viele Schriften von Philosophen gelesen und erklärt hatte, Lehrer so vieler vornehmer Senatoren, und wegen seiner hervorragenden unterrichtlichen Tätigkeit war ihm die verdiente Ehrung zuteilgeworden, die die Bürger dieser Welt ganz besonders schätzen: er hatte eine Statue auf dem Forum Romanum erhalten. Bis in sein hohes Alter war er ein Verehrer der falschen Götter und Teilnehmer an jenen gottlosen Mysterien geblieben, durch die sich damals fast der ganze römische Adel besudelte und auch das Volk für den Glauben an Osiris,3 „Ungeheuer aller Art und den hundsköpfigen Anubis“4 gewann, die einst "auf Neptun und Venus und Minerva ihre Geschosse gerichtet" hatten und zu denen dasselbe Rom, das sie besiegt hatte, nunmehr flehte. So lange Jahre hatte sie der Greis mit furchtbar donnerndem Worte verteidigt, jetzt aber schämte er sich nicht, ein Diener deines Christus, ein Kind deines Gnadenquells zu werden, seinen Nacken unter das Joch der Demut zu beugen und seine Stirne unter die Schmach des Kreuzes zu senken.
O Herr, „Herr, der du die Himmel neigtest und herabstiegest, die Berge anrührtest, daß sie S. 163 rauchten“5, auf welche Weise hast du dir Eingang in sein Herz gebahnt? Er las, wie Simplicianus erzählte, die Heilige Schrift, suchte und durchforschte alle christlichen Schriften und sagte dann zu Simplicianus, nicht öffentlich freilich, sondern mehr heimlich und im Vertrauen: "Wisse, ich bin auch schon ein Christ". Da entgegnete dieser: "Ich glaube es nicht eher und zähle dich nicht eher zu den Christen, als bis ich dich in der Kirche sehe". Lachend antwortete Victorinus: "Also machen die Mauern den Christen?" Und öfters erklärte er so, ein Christ zu sein, aber immer gab ihm Simplicianus die nämliche Antwort, worauf jener freilich ebenso oft sein Gespött über die Wände wiederholte. Denn er fürchtete, bei seinen Freunden anzustoßen, den stolzen Verehrern der Götzen, und glaubte, ihre Feindschaft würde ihn gewaltig treffen von der Höhe ihres Ansehens in der Welt wie die Zedern des Libanon, die der Herr noch nicht zerschmettert hat. Aber als er durch Lektüre und eifrige Forschung festen Grund gewann, fürchtete er, von Christus vor seinen heiligen Engeln verleugnet zu werden, wenn er sich vor den Menschen fürchtete, ihn zu bekennen; er glaubte, eine schwere Schuld auf sich zu laden, wenn er sich der Geheimnisse deiner demütigen Worte, nicht aber der gottlosen Mysterien hoffärtiger Dämonen schämte, denen er in hoffärtiger Nachahmung ergeben war. Jetzt entsagte er der falschen Scham und der Eitelkeit und schämte sich vor der Wahrheit, und unvermutet sprach er zu Simplicianus, wie dieser selbst mir erzählte: "Laß uns zur Kirche gehen, ich will Christ werden". Da wußte sich dieser kaum vor Freude zu fassen und ging mit ihm dorthin. Sobald Victorinus aber in die ersten Geheimnisse der christlichen Lehre eingeweiht war, ließ er sich bald darauf zum Erstaunen Roms und zur Freude der Kirche in die Zahl der Täuflinge einschreiben. Die Stolzen sahen es und ergrimmten, sie knirschten mit den Zähnen und vergingen vor Wut. Doch du, Herr Gott, warst „die Hoffnung deines Dieners, und er schaute nicht zurück auf Eitelkeiten und lügenhaften Wahn“6. S. 164
Endlich kam die Stunde heran, da er das Glaubensbekenntnis ablegen sollte; in Rom pflegen diejenigen, die deine Gnade empfangen wollen, es in bestimmt gefaßten und auswendig gelernten Worten von einem erhöhten Orte aus und angesichts der Gläubigen zu tun. Die Priester schlugen nun, wie Simplicianus erzählte, ihm vor, dies in der Stille zu tun, was man in der Regel auch Schüchternen vorschlug, bei denen man eine Unsicherheit befürchtete; jener aber zog vor, sein Heil im Angesichte der heiligen Menge zu bekennen. Denn in der Rhetorik, die er vortrug, war kein Heil, und doch hatte er sie auch öffentlich vorgetragen. Hatte er früher sich nicht gescheut, seine Worte an die Scharen der Toren zu richten, so brauchte er sich jetzt umso weniger zu scheuen, vor deiner friedlichen Herde dein Wort auszusprechen. Als er daher hinaufstieg, um das Glaubensbekenntnis abzulegen, murmelten sich alle unter Glückwünschen mit lautem Jubel seinen Namen zu; alle kannten ihn ja. Und mit gedämpfter Stimme erklang es freudig aus aller Munde: "Victorinus! Victorinus!" Schnell brachen sie, als sie ihn sahen, da in Freudengeschrei aus, aber ebenso schnell verstummten sie wieder, weil sie ihn hören wollten. Mit herrlicher Zuversicht bekannte er den wahren Glauben, und alle wollten ihn in ihr Herz einschließen; und fürwahr in Liebe und Freude schlossen sie ihn ein. Freude und Liebe waren die Arme, womit sie ihn in ihr Herz zogen.
C. Marius Victorinus Afer. Hieronymus zitiert ihn öfters und sagt (vir. Ill. 106) über ihn: "Der Afrikaner Victorinus lehrte unter Konstantinus in Rom die Rhetorik, nahm im höchsten Alter den christlichen Glauben an und schrieb einige Bücher gegen Arius, die aber nur für Gelehrte verständlich sind, und Erklärungen zu den Briefen des Apostels.". ↩
Kol. 2,8. ↩
Nach der Emendation von M. Ihm, Rhein. Mus. 51, 638. ↩
verg. Aen. VIII, 689 f. ↩
Ps. 143,5. ↩
Ps. 39,5. ↩
