Dritter Artikel. Die Liebe ist stärker wie der Haß.
a) Das Gegenteil sagt: I. Augustin (83. Qq. 36.): „Niemand findet sich, der nicht mehr den Schmerz flöhe wie das Vergnügen begehrte.“ Das Erstere aber gehört zum Hasse. II. Das Schwächere wird vom Stärkeren besiegt. Die Liebe aber wird überwunden vom Hasse, wann nämlich die Liebe sich in Haß verwandelt. Also ist der Haß stärker. III. Die Neigung der Seele zeigt sich in ihrer Stärke kraft der Wirkung. Mit mehr Gewalt aber strebt der Mensch, das Hassenswerte von sich zu treiben; wie z. B. auch die Tiere durch Furcht vor Schlägen von Ergötzungen fortgetrieben werden nach Augustin l. c. Also ist der Haß stärker als alle Liebe. Auf der anderen Seite ist das Gute darum stärker wie das Böse, weil (Dionysius 4 de div. nom.) „das Böse gar nichts thut außer durch die Kraft des Guten.“ Haß und Liebe aber scheiden sich gemäß demselben Unterschiede wie „gut“ und „böse“.
b) Ich antworte, unmöglich könne die Wirkung stärker sein wie ihre Ursache. Aller Haß aber geht wie von seiner Ursache von der Liebe aus. Also kann, schon von vornherein, nicht der Haß stärker sein wie die Liebe. Und noch dazu: Mit mehr Kraft bewegt sich jemand zu dem Zwecke wie zu dem nur Zweckdienlichen hin. Die Entfernung vom Bösen aberist als zweckdienlich auf die Erreichung des Zweckes gerichtet. Also von allen Seiten her muß die Liebe stärker sein wie der Haß. Bisweilen jedoch jcheint in besonderen Verhältnissen das Gegenteil stattzufinden und zwar wegen zweierlei: 1. Weil der Haß von den Sinnen aus stärker gefühlt wird wie die Liebe. Denn da die sinnliche Wahrnehmung in einer gewissen Veränderung besteht, so wird das, wodurch etwas bereits verändert ist, nicht so gefühlt als wenn der Sinn eben im Verändertwerden selber sich findet. Deshalb ist die Fieberwärme in der Abnehmekrankheit wohl an sich stärker; sie wird aber nicht so sehr gefühlt wie die im Wechselfieber. Denn die Fieberwärme des Abzehrenden ist bereits Gewohnheit geworden und sozusagen in die Natur übergegangen. Und aus dem gleichen Grunde wird auch die Liebe mehr empfunden in der Abwesenheit des geliebten Gegenstandes, wie Augustin (10 de Trin. 12.) sagt: „Die Liebe wird nicht so tief empfunden, wenn nicht das Bedürfnis zum Verräter wird.“ Also deshalb wird auch das Widerliche dessen, was gehaßt wird, mehr empfunden, wie die Zukömmlichkeit dessen, was geliebt wird. 2. Weil der Haß nicht immer im Verhältnisse ist zu der ihm entsprechenden Liebe. Denn gemäß der Verschiedenheit der Güter findet sich ein verschiedener Grad von Liebe; und dem entspricht dann der Haß. Der Haß also, welcher entspricht einer größeren Liebe, bewegt in höherem Grade wie eine kleinere Liebe. Damit ist beantwortet:
c) I. Denn die Liebe zum Vergnügen ist geringer wie die Liebe zur Erhaltung des eigenen Seins, der da entspricht das Fliehen vor dem Schmerze. Deshalb wird der Schmerz mehr geflohen wie das Vergnügen gesucht. II. Der Haß überwindet die Liebe nur wegen der größeren Liebe, welcher der betreffende Haß entspricht. So liebt der Mensch mehr sich selbst wie den Freund; und er haßt darum auch den Freund, wenn dieser ihm entgegensteht. III. Der Haß ist mehr und tiefer empfunden; deshalb arbeitet man angestrengter zur Vertreibung des Hassenswerten.
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