Vierter Artikel. Niemand kann sich selber hassen.
a) Dementgegen heißt es: I. Ps. 10.: „Wer die Bosheit liebt, haßt seine eigene Seele.“ Viele aber lieben die Bosheit. Also hassen sie sich selber. II. Jenen hassen wir, dem wir etwas Übles wollen oder anthun. Das hat aber oft genug statt gegenüber uns selbst; wie wenn jemand sich selbst tötet. III. Boëtius (2 de consol. prosa 5.) schreibt: „Der Geiz macht die Menschen verhaßt.“ Also jeder Mensch haßt den Geizigen. Viele aber sind geizig. Also hassen sie sich selber. Auf der anderen Seite sagt Paulus (Ephes. 5.): „Niemand hat je sein eigen Fleisch gehaßt.“
b) Ich antworte, unmöglich könne jemand, an und für sich betrachtet, sich selber hassen. Denn kraft der Natur begehrt jeglicher nach Gut; und nichts kann er für sich erstreben wie unter dem Gesichtspunkte des Guten. Denn „das Übel ist außerhalb des Willens,“ schreibt Dionysius (4 de div. nom.) Jemand lieben aber bedeutet: ihm Gutes wollen. Notwendigerweise also muß jeder sich selbst lieben; kann sonach unmöglich sich hassen. Nebensächlicherweise aber jemand sich hassen und zwar: 1. von seiten des Gegenstandes, insofern jemand begehrt, was nach einer gewissen Seite hin wohl ein Gut ist, an sich betrachtet aber ein Übel; wonach er also vom Scheine getäuscht für sich in Wahrheit ein Übel will, und somit sich selber haßt; — 2. von seiten des Wollenden, des Subjekts also, dem man Gutes will. Denn jegliches Wesen ist vorzugsweise das, was in ihm an erster Stelle steht, also das Hauptsächliche vorstellt; wonach man sagt, ein Staat thue das, was der König thut, als ob der König der ganze Staat sei. Nun ist es aber offenbar, daß im Menschen als das Hauptsächliche der vernünftige Geist dasteht. Denken also Einzelne, sie hätten hauptsächlich Sein gemäß ihrem körperlich-sinnlichen Teile und lieben sie sich in der Weise gemäß ihrer falschen Meinung, so hassen sie, was sie in Wahrheit sind, da sie der Vernunft zuwider wollen. Und in jeder von beiden Weisen haßt derjenige, der die Bosheit liebt, nicht nur seine eigene Seele, sondern sich selbst.
c) Damit ist geantwortet auf I. II. Wer sich selbst tötet, faßt dies unter dem Gesichtspunkte des Guten auf, inwieweit dies irgend ein Elend oder einen Schmerz abschließt. Denn niemand kann sich ein Übel wollen oder anthun, insoweit er es als Übel auffaßt. III. Der Geizige haßt eine ihm anhängende Eigentümlichkeit; nicht aber sich selbst. So haßt auch der Kranke nicht sich, sondern die Krankheit, die er hat, eben weil er sich selber liebt. Oder „der Geiz macht verhaßt“ anderen, nicht aber sich selbst. Im Gegenteil entsteht er aus der Liebe, wonach jemand in ungeregelter Weise für seine Person mehr zeitliche Güter will als er bedarf.
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