Zweiter Artikel. Weinen mildert die Trauer.
a) Dagegen: I. Keine Wirkung ist ein Hindernis für ihre Ursache. Weinen aber ist eine Wirkung der Trauer. Also mindert es nicht die Trauer. II. Wie Weinen eine Wirkung der Trauer ist, so Lachen eine Wirkung der Freude. Lachen aber mindert nicht die Freude. III. Das Weinen stellt uns vor Augen das Übel, was betrübt. Dies ist aber nicht geeignet, die Trauer zu stillen; sondern muß sie vermehren, wie auch die Vorstellung einer Sache, die Freude macht, diese Freude vermehrt. Auf der anderen Seite sagt Augustin (4. Conf. 4.): „In Seufzern allein und in Thränen fand ich einige Ruhe;“ wegen des Todes eines Freundes.
b) Ich antworte, Thränen und Seufzer mildern der Natur der Sache nach den Schmerz. Dafür sind zwei Gründe maßgebend: 1. Alles Schädigende,was im Innern verschlossen bleibt, ist in höherem Grade betrübend, denn es vervielfacht sich in der Seele in und um sich selbst; wird es nach außen abgeleitet, so zerstreut sich die Aufmerksamkeit der Seele auf Anderes hin und so mindert sich der innere Schmerz. Wenn also in Traurigkeit befindliche Menschen ihre Trauer mitteilen durch Worte, Seufzen, Klagen, so wird ihre Trauer gemildert. 2. Es ist die Thätigkeit, welche der augenblicklichen Verfassung der Seele entspricht, immer etwas Ergötzliches; Weinen und Seufzen aber entspricht der Seelenstimmung des Traurigen und deshalb ergötzt es. Da also jedes Ergötzen den Schmerz mildert, so thut dies auch das Weinen,
c) I. Das Verhältnis selber der Ursache zur Wirkung ist entgegengesetzt dem Verhältnisse dessen was betrübt zum Betrübten. Denn jede Wirkung ist ihrer Ursache entsprechend und zukömmlich; und folgerichtig ist sie ihr ergötzlich. Was aber betrübt, ist nicht zukömmlich, sondern entgegengesetzt dem Betrübten. Und deshalb hat ihrerseits die Wirkung der Traurigkeit wieder eine entgegengesetzte Beziehung zum Traurigen wie das Betrübende zum Betrübten. Sonach wird die Traurigkeit gemildert durch die Wirkung, der Trauer und zwar auf Grund des erwähnten Gegensatzes. II. Die Beziehung der Wirkung zur Ursache ist ähnlich dem Verhältnisse des Ergötzenden zum Ergötzten; denn auf beiden Seiten ist Ähnlichkeit. Alles Ähnliche aber erhöht ung vermehrt das ihm Ähnliche. Deshalb wird durch Lachen u. dgl. die Freude vermehrt; außer wenn das Gegenteil nicht etwa durch ein Übermaß hervorgerufen wird. III. Die Vorstellung der betrübenden Sache in der Einbildungskraft ist, an und für sich betrachtet, geeignet, die Trauer zu vermehren. Aber daraus selber daß jemand sich vorstellt, was seiner Seelenstimmung gemäß ihm zukommt, entsteht ein gewisses Ergötzen. Und aus demselben Grunde ist es für jemanden schmerzlich, wenn ihm ein Lächeln entschlüpft, während seiner Seelenstimmung nach er trauern muß; wie Cicero sagt 3. Tuscul.
